Gestern sah ich die Dokumentation Die Selfie-Story – Vom Selbstporträt zur Ego-Sucht, die seit August in der ZDF-Mediathek verfügbar ist. Der Film schweift in typischer TV-Manier um das Thema herum. In ziemlicher Beliebigkeit wird eine Fotografin, die sich selbst in künstlerischer Verfremdung fotografiert, neben einen Unternehmer gestellt, der der Selfie-Generation passende Kulissen vermietet.
Sowohl das eine, der Versuch, einen Massentrend künstlerisch zu verarbeiten, als auch das andere, die Vermarktung des Trends, sind typische Phänomene der Kulturindustrie.
Die Faschisten sind in Thüringen stärkste und in Sachsen zweitstärkste Kraft geworden. In beiden Ländern wurde die fremdenfeindliche CDU zweitstärkste Partei. Der Schaden, den diese Wahl anrichtet, könnte kaum größer sein. Jeder, der nicht in das völkische Weltbild der AfD passt, wird ab heute auf gepackten Koffern schlafen. Denn auch, wenn die AfD ihre Vertreibungsphantasien nicht sofort in die Tat umsetzen kann, die rechten Mordbanden werden den Wählerauftrag exekutieren.
Gewalt führt zum Ziel In seinem ›Traktat über die Gewalt‹ schreibt der Soziologe und Philosoph Wolfgang Sofsky: »Keine Sprache ist von größerer Überzeugungskraft als die Sprache der Gewalt.
Die Anstalt vom 11. Juni 2024 widmete sich dem Rechtsruck in der EU. Die Sendung sollte man gesehen haben, da die Satiriker wieder einmal die Arbeit der Journalisten machten. Es ging um den Rechtsruck in Europa. Es ging um die Werte der EU, die Menschenrechte, die Erweiterungspolitik und die Flüchtlingspolitik.
Dabei drängte sich mir folgendes Fazit auf. Die EU, vertreten durch Ursula von der Leyen, bezahlt Auftragsmörder in Nordafrika dafür, Menschen, die man in Europa nicht haben will, in der Wüste auszusetzen, damit sie dort qualvoll verdursten.
Xi Jinping schlägt in seinen Reden gerne einen großen historischen Bogen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des unsrigen. Was ist in dieser Zeit passiert? Bis ins Jahr 1820 war China eine Exportnation, die einen Handelbilanzüberschuss verbuchen konnte; England dagegen wies im Handel mit China ein Defizit von jährlich 20 Millionen Pfund auf. Um das zu ändern und sich das Land unter den Nagel zu reißen, begann die britische East India Company damit, das chinesische Volk mit Opium zu vergiften.
Prepper, schreibt Wikipedia, sind Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf verschiedene Arten von Katastrophen vorbereiten. Damit formuliert das Online-Lexikon den Grundwiderspruch der Prepper, ihre irrationale Rationalität, im ersten Satz.
Nichts ist rationaler, als sich auf Katastrophen vorzubereiten; und nichts irrationaler, als den Katastrophenschutz dem Individuum zu überlassen.
Der Prepper ist die Kehrseite des Serial Entrepreneurs, wie jener eine Ausgeburt der neoliberalen Ideologie, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Der Bunker im Garten ist die Startup-Loft des Preppers, so wie das Erfolgs-Coaching des Gründers der Selbstverteidigungskurs des Preppers ist.
Wenn ich als Kind mein Bonbonpapier einfach auf die Straße geworfen hätte, was ich so gut wie nie tat, wäre meine Mutter zu mir gekommen und hätte mich ermahnt: »Wenn das jeder täte…!«
Ich weiß nicht, ob bereits der Knabe die Weisheit in diesen Worten begriff, oder ob er von sich aus lieber einen Mülleimer suchte. Müll auf der Straße oder schlimmer noch in der Landschaft war mir immer schon zuwider.
Ich lese gerade Xi Jinpings Bericht auf dem XIX Parteitag der KP Chinas aus dem Jahr 2017. Der Bericht eines Generalsekretärs auf dem Parteitag der KP ist vergleichbar mit einer Regierungserklärung bei uns. Die Rede ist lang und ich bin froh, dass ich nach der Lektüre seiner kürzeren Reden in Band I und II von “China regieren” den Stil solcher Texte bereits kenne.
Ich will die Rede hier nicht im Einzelnen vorstellen.
In der Volksrepublik China wurden in diesem Jahr bereits drei Minister ausgetauscht. Unsere öffentlich-rechtlichen Meinungsmacher rätselraten, ob das nun ein Zeichen für Xi Jinpings Stärke oder für seine Schwäche sei. Im Land des Führerprinzips hat man keinen Begriff für die kollektive Führung im chinesischen Sozialismus. Die Schreiberlinge können nicht anders; sie müssen personalisieren. Da wird orakelt, dass sich die Annahme verhärtet (sic!), dass der gefeuerte Außenminister Qin, als Botschafter in den USA »eine außereheliche Beziehung hatte, aus der ein Kind hervorging.
Annalena Baerbock unsere oberste Diplomatin hat den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping ganz undiplomatisch einen Diktator genannt. Dass China von einem kollektiven Gremium, dem ZK der KP Chinas, geführt wird, hat sich entweder zu ihr noch nicht herumgesprochen oder es stört sie bei der Verkündung einfacher Wahrheiten im Stil der AfD.
Zu ihrer Verteidigung sei jedoch gesagt, dass sie einer deutschen Tradition folgt und sie lediglich auf die Spitze treibt. Wenn ein hochrangiger Politiker oder eine hochrangige Politikerin aus Deutschland nach China fährt, verlangen Medien und politischer Gegner von ihm oder ihr, die ›Menschenrechtssituation‹ in China anzusprechen.
Vor knapp drei Jahren habe ich im Sudelbuch das erste Mal Texte von Xi Jinping besprochen. Der Anlass war eine unterirdische Kritik des Buches »Chinesische Weisheiten in Xi Jinpings Reden« in der NZZ. Seitdem musste ich mich immer wieder über die holzschnittartige Berichterstattung in deutschen Medien ärgern, die scheinbar nur noch eine Agenda verfolgt: China und Präsident Xi Jinping zu dämonisieren. Während der Corona-Pandemie wies ich in dem Artikel Zeitenwende darauf hin, dass diese ideologische Verblendung des Westens nicht nur dumm, sondern auch gefährlich ist.
Die Linke muss zurück an die ökonomische Basis! Soziale Bewegungen aus dem linksliberalen Spektrum, im Folgenden heuristisch als die Linke bezeichnet, traten im 20. Jahrhundert die Nachfolge protestantischer Sekten an. Wie früher den religiösen Sektierern ist heute bürgerlichen Idealisten ein gutes Gewissen wichtiger als politische Macht. Die Verachtung weltlicher Macht hat im Christentum eine lange Tradition, die sich auf den Religionsstifter selbst berufen kann. Wenn aber die materialistische Linke, die ursprünglich sogar mit revolutionärer Gewalt an die Macht drängte, diese zu verachten scheint, muss man besorgt sein.
Bei der Genossenschaft, die das ›Neue Deutschland‹ herausgibt (den ursprünglichen Namen versteckt man schamhaft hinter der Abkürzung ›nd‹) hat sich überraschend ein hoher Fehlbetrag ergeben.
»Aufsichtsrat und Vorstand der nd.Genossenschaft erfuhren nach eigenen Angaben erst drei Tage vorher [gemeint ist eine Betriebsversammlung vor der Generalversammlung], dass sich das Defizit von den geplanten 300 000 auf über 600 000 Euro vergrößert hat. Im Zuge des Übergangs von der nd-GmbH zur Genossenschaft vor anderthalb Jahren war die Buchhaltung ausgelagert worden.
Am 12. Oktober 1999 gebar eine 29jährige Bosnierin kurz nach Mitternacht in Sarajewo Adam, den 6000000000sten Erdenbürger. Die Wissenschaft hatte dies bereits in den 70er Jahren vorausgesehen. Die große Studie GLOBAL 2000, die der einzige US-Präsident in Auftrag gegeben hatte, der sich um die Zukunft der Menschheit und nicht um seine Wiederwahl sorgte, hatte geschätzt, dass die Weltbevölkerung im Jahr 2000 auf 6,35 Mrd. angewachsen sein würde. Die Prognose war also überraschend exakt.
Das ökonomische System der Bundesrepublik Deutschland und anderer westlicher Demokratien hat sich in den letzten 40 Jahren als stabil gegen jede Form des politischen Aktivismus von links erwiesen. Dagegen konnten rechtsradikale Bewegungen bedeutende politische Erfolge verzeichnen. Den vorerst größten Sieg feierte der rechtsradikale Aktivismus, als durch die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten ein rechtsradikaler Populist die politische Macht in den USA eroberte. Der linke sowie der klima- und umweltpolitische Aktivismus geht dagegen seit Jahrzehnten unbeirrt seinen Weg von Niederlage zu Niederlage.
Unter dem Motto »Auf die Plätze! Endlich! Los!« veranstalten 46 deutsche Theater und Theaterfestivals zusammen mit freien Ensembles und Theaterschaffenden seit dem 1. Mai einen Staffellauf fürs Klima. Diese tolle Aktion erinnert mich an die Staffelläufe in meiner Schulzeit, mit denen wir unsere Klassenfahrten finanzierten. Für jede Runde, die ihr Kind um den Sportplatz lief, zahlten die Eltern eine Mark in die Klassenkasse. Diese schöne sportliche Tradition wurde, wie ich bei meinen Söhnen erfahren durfte, bis in das Zeitalter des Euros fortgeführt.
Den Erlöser zu malen, gelingt nicht auf Anhieb. Selbst die besten Ikonenmaler rangen Jahre lang in der Zurückgezogenheit ihrer Klöster mit sich und der Farbe, bis sie das Antlitz des Erlösers endlich auf Holz bannen konnten. Die Konvention sollte ihnen helfen, Heiliges zu schaffen. Die Befolgung strenger Regeln versprach Erfolg. Eine lautete, sich in die Erlösungsgeschichte zu versenken, das Malen als Gebet aufzufassen. Und so malten die Mönche den Erlöser als Meditation und in Serie.
Wenn man die Fähigkeit eines Gemeinwesens, existenzielle Krise zu meistern, als Maßstab nimmt, hat die Volksrepublik China seine Überlegenheit gegenüber den westlichen Idiotien in den letzten zwei Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Während der Corona-Virus sich auch zwei Jahre nach dem Ausbruch in aller Welt ungehindert austoben kann, obwohl bereits mehrere wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, hatte China das Virus nach drei Monaten unter Kontrolle. Bis dahin starben 4.849 Menschen an Covid-19 in der Volksrepublik China.
»Aus der Zeit gerissen« – den Titel der Ausstellung im Wuppertaler VonderHeydt-Museum verstand ich zunächst falsch, denn ich bezog ihn auf Joseph Beuys und seine seltsam schamanisch anmutenden Fluxus-Happenings. Der Katalog klärte und vertiefte das Missverständnis. Denn laut des Klappentextes meint der Titel die Fähigkeit der Photographie, Momente aus dem Fluss der Zeit zu reißen, womit sie ihnen und der Beuys’schen Kunst erst ihre eigentliche Wirkung verleihen. Die Fotos von Ute Klophaus, so heißt es, »vermitteln zugleich die besondere Ausstrahlung, Intensität und Energie des Akteurs der Handlung.
Wer Werke von zwei gegensätzlichen, fast antipodischen Bildhauern sehen möchte, muss in den Skulpturenpark Waldfrieden nach Wuppertal fahren. Dort treffen die Skulpturen von Heinz Mack auf die des achtzehn Jahre jüngeren Tony Cragg.
Von den vielen Gegensätzen sei nur einer erwähnt, der nicht sofort ins Auge fällt. Während Tony Cragg mit großer Virtuosität die Symmetrie vermeidet, ist sie bei Mack ein nahezu unvermitteltes, fast naives Stilmittel.
Im Pavillon ganz oben, knapp unterhalb des Bergrückens, den der Park fast erreicht, sind Marmorplastiken von Mack ausgestellt.
Niemand lässt ein gutes Haar an den bärtigen Männern in Kabul. Dabei haben die Taliban den ausländischen Besatzern, am Ende sehr viel schneller, als diese es erwartet hatten, die Tür gezeigt, durch die sie verschwinden sollten. Dieser Sieg ist wenigstens aus unbefangen historischer Sicht eine kleine Anerkennung wert.
Fast 20 lange Jahre haben sich die Taliban gegen eine technisch weit überlegende Militärmacht aufgelehnt und diese schließlich in die Knie gezwungen. Die USA, die aus purer Rachsucht, das Volk am Hindukush überfallen hatten, mussten wie geprügelte Hunde abziehen und mit ihnen ihre Verbündeten.
Die Guillotine trennt nicht nur den Kopf vom Rumpf, sondern auch die Zukunft von der Vergangenheit. So verlor Ludwig XVI 1793 unter der Guillotine nicht nur Kopf und Leben. Durch den sauberen Schnitt wurde auch die absolute Monarchie für immer in der Vergangenheit zurückgelassen. Wie tief der Schnitt ging, unterstreicht der Staatsstreich, mit dem wenige Jahre später ein durchgeknallter General von fragwürdiger Geburt mitten in Europa die erste moderne Militärdiktatur der neueren Geschichte errichtete.
Es muss für den CDU-Mann Armin Laschet eine späte Genugtuung gewesen sein, als er die Schirmherrschaft für eine Ausstellung übernahm, die Joseph Beuys mit einer des Anlasses würdigen kultischen Verehrung kastriert. Immerhin hat sich Laschets CDU in Kassel bis auf die Knochen blamiert, als sie gemeinsam mit der FDP keine Gelegenheit ausließ, um mit kleinbürgerlicher Verbissenheit gegen die soziale Plastik 7000 Eichen. Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung Front zu machen.
Wenn es das Ziel war, den Erweiterten Kunstbegriff von Beuys zu neutralisieren und als affirmative Fußnote in das neoliberale Globalisierungsnarrativ zu integrieren, dann ist die Düsseldorfer Ausstellung »Jeder Mensch ist ein Künstler.
Ich soll also eine Partei wählen, denen die Frauenquote wichtiger ist als die Chance, an die Macht zu kommen? Eine Partei, die den Lindner macht? Besser nicht regieren, als mit Mann regieren? Ist das euer Ernst? Ich soll eine Partei wählen, die eine Frau zur Kanzlerkandidatin macht, von der ihre Bewunderer nichts besseres zu sagen wissen, als dass sie eine gute Netzwerkerin sei? Netzwerken – das ist das Golfspielen der Generation Praktikum, die Hinterzimmerpolitik der Credit-Point-Sammler, der Kölsche Klüngel der prekären Ich-AGs!
»Wenn ich jetzt da reingucke, finde ich garantiert den Fehler«, sagte mein ehemaliger Chef immer, wenn aus der Druckerei die Belegexemplare einer Broschüre eintrafen, die wir in unserer Agentur erstellt hatten. Obwohl er selbst, seine Sekretärin mit den Argusaugen und meine Wenigkeit alle Texte mehrmals Korrektur gelesen hatten, wollte es der Zufall, dass mein Chef beim ersten Blättern in den gedruckten Exemplaren mit schlafwandlerischer Sicherheit den einzigen Fehler fand, den wir alle übersehen hatten.
Kürzlich entdeckte ich die RSS-Feeds des Robert-Koch-Instituts, von denen ich einige sofort abonnierte. Bei der Lektüre der Corona-Lagebilder und der Epidemologischen Bulletins des RKI wurde mir eine Metainformation bewusst, die im öffentlichen Diskurs – sowohl in den klassischen als auch in den sozialen Medien – komplett ausgeblendet wird. Leider vermag ich nicht mehr anzugeben, wo genau ich auf diese Information stieß. Vermutlich habe ich sie aus verschiedenen Formulierungen des RKI synthetisiert.
Die Skandalisierung einer Person oder einer Sache beendet in der Regel das Nachdenken über Person und Sache, bevor es begonnen hat. Glücklicherweise ist dies im Falle des Philosophen Martin Heidegger anders. Zu seinem Fall hat nicht nur die historische Forschung einiges zusammengetragen, mit Adornos Schrift ›Jargon der Eigentlichkeit‹ haben wir auch eine erhellende Sprachkritik zur Hand, um gegen einige Besonderheiten des Heideggerschen Denkens wie gegen einen tödlichen Virus quasi geimpft zu sein.
Der erste Weltkrieg war nach der langen Friedenszeit der Belle Époque eine universale Zeitenwende, wie es sie seit der Französischen Revolution nicht mehr gegeben hatte. Vier Jahre Krieg genügten, um den USA als neuer Großmacht die Weltbühne zu bereiten, von deren Brettern die alten europäischen Imperialmächte eine nach der anderen abtreten mussten. Der Krieg fegte gottgewollte Monarchien hinweg und spaltete mit der Oktoberrevolution die Welt für Jahrzehnte in Ost und West.
Die Corona-Pandemie könnte eine ähnlich fatale Wirkung entfalten wie die Weltwirtschaftskrise von 1929, die die Demokratie in Deutschland wie ein Kartenhaus zusammenstürzen ließ. Wie damals liegen die Ursachen tiefer. Der Börsencrash von 1929 und der Corona-Virus des Jahres 2020 stießen bloß nieder, was ohnehin fallen wollte.
Die neoliberale Sklerose wuchert überall. Der Neoliberalismus, der die westlichen Gesellschaften seit vier Jahrzehnten beherrscht, hat die staatlichen Strukturen zerfressen. Der postmoderne Lebensstil des Anything-goes, das kulturindustrielle Pendant zum Neoliberalismus hat soziale Strukturen atomisiert und hedonistisch-neurotische Individuen zurückgelassen.
Ich rezensiere keine Bücher. Goethe hat in einem seiner Gedichte alles gesagt, was man über Rezensenten wissen muss. Und das war nicht sehr freundlich. Vor einigen Tagen hat mich aber eine Buchkritik dermaßen erbost, dass ich sogleich den Verlag des verrissenen Buches1 anschrieb, um ein Rezensionsexemplar für eine Gegenkritik zu erbitten. Wenn dies hier also eins der von Goethe so verhassten hündischen Machwerke ist, beschäftigt sich mindestens die Hälfte dieser Rezension mit jener Rezension.
Der postmoderne Mensch ist unfähig, sich als Teil eines Ganzen zu sehen. Er ist sich selbst das Ganze, dem die Teile der übrigen Welt, der ganze Rest, zu Diensten sein sollen. Dieser soziale Singularismus findet seine unverschleierte Verkörperung im amerikanischen Präsidenten, der ein kollektives Ereignis wie den Klimawandel oder die Covid19-Pandemie leugnen muss, um mit seinem rücksichtslos individualistisches Weltbild nicht in Widersprüche zu geraten, die selbst ein blondiertes Toupet nicht mehr leugnen könnte.
Das Rationale am Mythos ist die Art wie er das Inkommensurable und Nicht-Identische dem begrifflichen Zugriff des Menschen anpasst. Er belässt es nicht dabei, der kontingenten Naturgewalt ihre Geheimnisse zu entreißen. In seinem Kern geht es vor allem darum, menschliche Gemeinheit und Niedertracht zu rechtfertigen. Dies erhellen die Episoden der Odyssee, von denen Horkheimer und Adorno einige in der ›Dialektik der Aufklärung‹ analysieren.
In einer Episode des Epos verschlägt es die Söhne Ithakas an die Küste der Kyklopen, wo Odysseus die fehlende Triebsteuerung des Kyklopen Polyphem ausnutzt, um diesen mit den Ko-Tropfen des Dionysos wehrlos zu machen und gemeinsam mit seine Gefährten zu blenden.
Auf Telepolis huldigt Magdalena Frey der Masse, die wild denke in Verschwörungstheorien, die im Volk vor sich hinwuchern. Der Mob als schöner Wilde, der vor sich hin bastelt, wie Lévi-Strauss in seinem wilden Denken schrieb? Das ist eine steile These.
»Die Masse bastelt zwar, sie stümpert nur aus Abfällen. Aber die Masse denkt!« ruft sie emphatisch aus, und vergisst dabei, dass das, was sie als quasi basisdemokratisches, wildes Denken verherrlicht, längst zu einer Manipulationstechnik geworden ist, die professionell angewendet wurde, um Großbritannien aus der EU und Trump ins Weiße Haus zu bringen.
In der alten Bundesrepublik gehörte es zur ideologischen Grundausbildung, das militärische Glaubensbekenntnis herunterbeten zu können. Dieser weltliche Katechismus bläute uns ein, dass die allgemeine Wehrpflicht und der Bürger in Uniform den berüchtigten Staat im Staate verhindere, der zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen hatte und für Millionen Tote verantwortlich war.
Ein Slogan kann noch so dämlich sein, oft genug wiederholt, bleibt immer etwas hängen; und so regte sich 2010 tatsächlich hier und da leiser Protest gegen die Aussetzung der Wehrpflicht durch Deutschlands obersten Plagiator, Karl-Theodor zu Guttenberg.
Neun Tage nachdem die Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz sich zum fünfundsiebzigsten Mal jährte, ließen die bürgerlichen Parteien in Deutschland die Maske fallen und paktierten mit denen, die das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als ein Mahnmal der Schande bezeichnen. Der Handschlag zwischen Höcke und Kemmerich im Thüringer Landtag besiegelte den Pakt zwischen den Bürgerlichen und den Faschisten. Wer Augen im Kopf hat, konnte dies kommen sehen, denn Kemmerich hat seine Gesinnung im Wahlkampf nicht einmal verborgen.
Die Soziale Plastik ist kein Begriff der ästhetischen Theorie, sondern der ökonomischen Praxis. Diese ist geprägt von einer Vereinzelung des Einzelnen durch den Kapitalismus in neoliberaler Ausprägung, indem er das Subjekt zum Entrepreneur seiner selbst stilisiert und damit zu einer ökonomischen Ressource erniedrigt, deren Wert sich an ihrer Ausbeutbarkeit bestimmt. Die Freiheit des Subjekts im Kapitalismus ist eine falsche Freiheit; es ist die Freiheit des Konsums, der den unaufhörlich produzierten Warenstrom neutralisieren muss, damit die Illusion aufrecht erhalten bleibt, dass für Bedürfnisse produziert werde.
Putin ist gestern seinem großen Ziel, der Zerschlagung einer konkurrierenden, politischen und wirtschaftlichen Macht an seiner Westfront ein großes Stück nähergekommen. Vielleicht geht der Schuss für ihn aber auch nach hinten los, denn Europa bekommt, wenn der ewige Nörgler und Bremser Großbritannien die EU endlich verlässt, die große und vielleicht die letzte Chance zu grundlegenden Reformen.
Doch bis das entschieden ist, kann sich Putin über diesen Coup freuen. 2019 ist das Jahr des russischen Autokraten.
Die Rede vom schlanken Staat verschleiert die Funktion, die er im Kapitalismus hat. Die neoliberale Propaganda, die uns die Ideologie des schlanken Staats einbläuen will, ist nämlich in erster Linie Propaganda und nicht Propagierung eines ideologischen Standpunkts. Das Kapital bedient sich des Staates vielmehr als eines beliebig einsetzbaren Werkzeugs zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Der Einsatz dieses Werkzeugs muss dabei nicht immer offen gewaltsam sein, wie bei der paramilitärischen Niederschlagung eines politischen Streiks oder der Ermordung von Umweltschützern und Vertretern indigener Interessen.
Walter Benjamin schreibt im Passagenwerk (E°,33):
»1863 publiziert Jacques Fabien ›Paris en songe‹. Er entwickelt darin wie Elektrizität durch die Überfülle von Licht vielfache Erblindung, durch das Tempo des Nachrichtendienstes Irrsinn hervorruft.«
Die affirmative Fortschrittserzählung hat eine eigene Schublade für solche fortschrittskritischen Äußerungen aus der Zeit der Industrialisierung. Es ist die Schublade der schrulligen Verlierer, die ohne Zweifel von der Geschichte widerlegt wurden. Und wenn sich kein borniertes Zitat eines hoffnungslos Abgehängten finden lässt, erfinden die Apologeten des Fortschritts auch gerne selbst eins.
Es ist kaum möglich, die Tatsache zu ignorieren, dass vor 50 Jahren ein amerikanischer Soldat erstmals den Mond betrat. Allerdings kann auch niemand die Ernüchterung übersehen, mit der man gerade überall diesen großen Schritt für die Menschheit feiert, der alles andere als das war. Die Mondlandung hat die Menschheit nicht nach vorne, sondern auf Abwege gebracht. Apollo 11 hat meiner Generation Flausen in den Kopf gesetzt. Ich war sechs als die Welt vor den Fernsehgeräten das größte Abenteuer der Menschheit miterlebte.
Würde sich Walter Benjamin, wenn er sein berühmtes Passagenwerk heute verfassen wollte, den Fußgängerzonen widmen? Sie bieten sich für eine materialistische Geschichtsschreibung förmlich an. In ihren Mauern ist Geschichte gespeichert und ihren Siegeszug treten sie Mitte des 20. Jahrhunderts an.
Zwei Weltkriege hatten damals das mittlere Großbürgertum, das in der Gründerzeit ganze Straßenzüge mit mehrstöckigen Wohnhäusern in die Höhe zog, in denen im gediegenen Vorderhaus die Bourgoisie repräsentierte und nach hinten raus der Kleinbürger zur Miete die Repräsentation mit finanzierte, ordentlich durchgeschüttelt.
Ich wünschte, wir würden schweigen.
Wenigstens für einen Tag.
Ein Tag des Schweigens, um uns zu reinigen.
Die Mönche waren große Schweiger, bis die Reformation ihr Schweigegelübde brach und Glaubensartikel mit einer Geschwätzigkeit an den Mann brachte, die uns heute noch die Ohren klingeln lässt. Die Reformatoren haben die Reklame erfunden. Lucas Cranach war nicht nur Maler. Er betrieb auch einen Verlag mit Druckereien, in denen er die Prospekte der Reformation, vor allem Luthers Predigten, auf billigem Papier druckte.
Das tat richtig weh. Mit dem Hohngelächter von Leuten, die wissen, dass sie uns endlich da haben, wo sie uns hin haben wollten, schlugen uns gestern die diätenprallen Schranzen der Verwerterindustrie kräftig ins Gesicht. Und als wir zu Boden gingen, traten sie noch einmal richtig nach.
Das Europäische Parlament hat am gestrigen schwarzen Dienstag das freie Internet zerstört. Der Verwerterindustrie ist gestern endlich der große Gegenschlag gelungen, den sie seit den 90er Jahren, als sich langsam aus bescheidenen Anfängen das Internet in der heutigen Form herausbildete, vorbereitet haben.
Jahresrückblick: 20 Jahre Sudelbuch Dieses Jahr, im Juni, feierte das Sudelbuch seinen 20sten Geburtstag. Die erste Sudelei erschien am 20.6.1998 und widmete sich dem Ende der Kohl-Ära. Jetzt könnte ich etwas über das Ende der Ära Merkel schreiben, wenn mir das denn wichtig wäre. Etwas anderes ist mir wichtiger. In der Anfangszeit des Sudelbuchs habe ich im Dezember oft einen Jahresrückblick gemacht. Diese Tradition, die zwischenzeitlich eingeschlafen ist, soll mit dieser Sudelei neu belebt werden.
Warum Fakten gegen Populismus nicht helfen Der öffentliche Diskurs steckt in einer beispiellosen Krise. Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit – zwei Tugenden, ohne die ein rationaler Diskurs unmöglich wird, werden nicht bloß durch Lügner und Betrüger angegriffen und durch Lüge und Verlogenheit herausgefordert, sie sind als Kategorien praktisch hinweggewischt worden. Zwischen der Lüge und der Wahrheit wird kein Unterschied mehr gemacht und wenn doch noch auf einer Differenz bestanden wird, so haben beide ihre Plätze vertauscht.
Deutschland – ein Gemeinwesen macht Platte In der kürzlich veröffentlichten Allensbach-Umfrage Generation Mitte 2018 bezeichnen fast zwei Drittel der Befragten den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land als schwach oder sehr schwach. Die Generation Mitte rekrutiert sich nach den Statistikern aus den 30- bis 59-jährigen.
Dieses Stimmungsbild ist nach den Zerstörungen, die der Neoliberalismus in unserem Land spätestens seit der Machtübernahme Kohls angerichtet hat, keine Überraschung. Was mich wundert, ist, dass man den Neoliberalismus noch nicht als Ursache unserer Probleme ausgemacht hat.
Die Lüge des Plattform-Kapitalismus Der Plattform-Kapitalismus hat uns in den letzten beiden Jahrzehnten eingeredet, dass neue Technologien disruptiv seien, weil sie nicht nur technische, sondern auch soziale Auswirkungen haben. Das ist jedoch eine Lüge. Dafür dass wir den Plattform-Kapitalisten so leicht auf den Leim gegangen sind, gibt es nur eine Entschuldigung: die technische Entwicklung verlief so schnell, dass wir nur zu gerne glaubten, dass ihre Dynamik auch die Ursache für die gesellschaftlichen Verwerfungen gewesen sei, die wir heute beklagen.
Wenn die Panik um die DSGVO für mich eine positive Seite hatte, dann war es die Bestätigung, dass es richtig war, mich in einer Genossenschaft mit anderen zusammenzuschließen, um meine Websites zu betreiben. Gemeinsam macht der Kampf mit dem bürokratischen Monstrum doch deutlich mehr Spaß.
Die historische Dimension Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist in meiner Erinnerung das erste Gesetz, das so ziemlich jeden in meinem Bekanntenkreis umgetrieben hat. Ich müsste schon bis zur Euro-Einführung zurückgehen, um einen gesetzlichen Einschnitt zu finden, der ähnlich viele Menschen bewegt hat.
Einer der üblichen Gemeinplätze besagt, dass unser komplexes politisches System ohne Repräsentation nicht funktionieren könne. Die repräsentative Demokratie, so will uns diese Aussage weismachen, wird damit zu einem Sachzwang, den man nicht hinterfragen, sondern bloß akzeptieren kann. Da Millionen Bürger aus offensichtlichen, organisatorischen Gründen nicht in der Lage sind, Gesetze zu verabschieden, müssen dies gewählte Vertreter tun. Der Think Tank »Das progressive Zentrum« hat im Dezember 2017 ein ›Diskussionspapier‹ veröffentlicht, in dem die Autoren feststellen, dass die repräsentative Demokratie vor großen Herausforderungen steht.