Stärken stärken
Stärken stärken. Mannesmann erhöht das Kapital. – Wenn ich solche Werbesprüche höre, dann weiß ich, dass mir das Sozialamt wahrscheinlich erspart bleibt und ich mein Geld auch in Zukunft noch als Werbetexter verdienen kann.
Zunächst schrillte nur die unsägliche Alliteration in meinen Ohren. Damit hätte sich der Sprecher im Werbespot von Mannesmann beinahe die Zunge verrissen. Doch dann versenkte ich mich, geschult an Hegel und Heidegger, in die philosophische Dimension dieses Satzes. Vielleicht steckt da mehr drin als die plumpe Anmache: Geld her, damit wir stärker werden! Schnell erkannte ich, dass es sich im Wesenskern um eine ontologische Existenzaussage handelt. Eine aus der Kategorie: ›Das Sein west.‹
Na klar! Stärken machen stark, wer wollte das bestreiten? – Ich! – Wir sehen es doch jeden Tag. Stärken schwächen, zumindest die Wahlchancen im September. Jahrelang war es eine besondere Stärke der Grünen, dass sie eine ökologische Politik machen wollten. Darum haben wir sie doch immer gewählt. Jetzt wo sie diese Stärke gestärkt durch gute Umfrageergebnisse stärken wollten und auf dem Magdeburger Parteitag den einzig ökologisch sinnvollen Beschluss fassten, nämlich den Benzinpreis schrittweise auf 5 DM zu erhöhen, da sanken sie in den Umfragen postwendend bis knapp an die 5%-Hürde.
Hatten die Grünen denn nicht Kohl als Menetekel vor Augen? Das Ausschalten innerparteilicher Gegner, das ist seine Stärke, da macht ihm keiner was vor. Wen hat der Mann nicht alles in die Wüste oder nach Sachsen gejagt! Doch seitdem er seinen letzten Gegner, den von ihm selbst gekürten Nachfolger, Wolfgang Schäuble, durch taktische Finesse vorerst aufs Abstellgleis manövriert hat, sind selbst seine Parteifreunde nur zähneknirschend bereit, ihn noch eine volle Legislaturperiode zu ertragen. Und jetzt steht er da der Überkanzler und kann vor lauter gestärkter Stärke kaum noch gehen!
Oder ein anderes Beispiel: Haben wir Gerhard Schröder nicht immer für seine starke Affinität zur Wirtschaft bewundert? Haben wir nicht immer gedacht, seine Stärke ist der strenge Stallgeruch der Aufsichtsräte, der an seinen Maßanzügen klebt? Und nun, wo er diese Stärke noch mehr stärken will und den Multimillionär Stollmann als Wirtschaftsminister in sein Schattenkabinett holt, da sehen viele seiner Genossen plötzlich rot.
Und die Moral von der Geschicht’: Bloß nicht Stärken stärken. Bloß nichts übertreiben. Das sagte schon der griechische Philosoph Aristipp, der im Gegensatz zu Plato mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Lieber die Schwächen stärken. So wie das derzeit die deutsche Nationalmannschaft macht. Sie stärkt ihre Schwäche im Mittelfeld von Spiel zu Spiel. Eine Taktik, die unweigerlich zum Erfolg führen muss. Ihr werdet es schon sehen! – Solingen, 26. Juni 1998