Preisfrage Teil 4
Die Vergangenheit von der Zukunft befreien? Die Zukunft von der Vergangenheit befreien?
Endlich läuft auf meinem neuen Computer mein altes Mailprogramm pine. Es ist eine wahre Wohltat, einfach sämtliche alten Dateien, Konfigurationsfiles und Adressbücher mit einem Mausklick auf den neuen Computer zu übertragen und alles wieder an seinem alten Platz zu finden. Endlich kann ich auch wieder die Abonnenten des Sudelbuchs schnell und ohne Probleme verwalten. Entspannt lehne ich mich also vor dem Bildschirm zurück und gerate ins Grübeln.
Wie jeder Sudelist ziehe auch ich die großen philosophischen Schlüsse aus den Erfahrungen und Beobachtungen des Alltags: Warum lieben wir im Neuen das Alte? Auf einem neuen Rechner das gute alte Mailprogramm. Den neuen Wein in alten Schläuchen. Den alten Wein in neuen Schläuchen.
Man sagt, dass der, dem seine Mutter als Baby oft auf den Bauch geprustet hat, sein Leben lang von der Fellatio träumt. Wenn das stimmt, dann würde die große Anzahl eindeutiger Fotos im Internet darauf hinweisen, dass die meisten Männer glückliche Babies waren.
Wenn meine Beobachtung stimmt, dann müssen wir uns auch fragen, was die Deutschen zurzeit an oder in Schröder finden. Den Kohl der geistig-moralischen Wende? Oder den Schmidt des autofreien Sonntags? Die älteren vielleicht den Brandt der gewagten Demokratie? Ist Schröder nun aber alter Wein in einem neuen Schlauch oder umgekehrt? Mich erinnert Schröder an niemanden, deshalb muss ich vor dieser Frage passen.
Wen müssen wir aber wählen, wenn wir neuen Wein und einen neuen Schlauch haben wollen? Ganz klar: Joschka Fischer. Denn er hat, nachdem er seit Jahren eine neue grüne Realpolitik praktizierte, im letzten Jahr auch sein Äußeres vollkommen erneuert. Als der alte dicke Schlauch aus allen Nähten zu platzen drohte, hat er ihn mit fundamentalistischer Härte gegen einen asketisch neuen ausgetauscht. – Solingen 25. Juli 1998