Die Kommunisten sind an allem Schuld
Irgendwie haben wir das ja alle geahnt. Jetzt ist es endlich heraus. Die französische Sportministerin ist eine Kommunistin und hat es auf die Tour de France sowie die internationale Pharmaindustrie abgesehen.
Mit einem gigantischen Polizeiaufgebot will sie die armen, entrechteten und ausgebeuteten Radfahrer vor sich selbst, dem Radsportverband, der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie schützen. Unter jedem Bett liegt seit gestern ein französischer Polizist, der seinem Schützling bis aufs Klo folgt und ihn rund um die Uhr bewacht. Die Hotels sind von Uniformierten umzingelt. Kein Gramm Dope kommt ungesehen herein oder heraus. Und zum Pinkeln müssen die Fahrer ins Hospital, damit jeder Tropfen Beweismittel aufgefangen werden kann. Man muss sich das mal bildlich vorstellen: da werden die flüssigen Ausscheidungen von über hundert Männern fein säuberlich aufgefangen und auf Pipetten gezogen.
Wie so oft aber wissen die Befreiten diese fürsorgliche Belagerung nicht zu schätzen. Kurzerhand organisierten sie, aufgehetzt von den holländischen Fahrern, einen wilden Streik auf der Rennstrecke, ohne die kommunistischen Gewerkschaften Frankreichs vorher um Erlaubnis zu fragen. Bjarne Riis musste zwischen den Fahrern und den Veranstaltern vermitteln. Als Telekom-Fahrer muss der ja was von Vermittlung verstehen. Die Fahrer wollten mit ihrem Streik gegen die menschenunwürdige Behandlung durch die französische Polizei protestieren. Nun kann man den Flics bestimmt nicht übertriebenen Humanismus vorwerfen, aber dieser Vorwurf ist doch ein starkes Stück. Immerhin muss bei uns jeder Autofahrer mit einer verbotenen Substanz wie z. B. Alkohol im Blut, ebenfalls zur zwangsweisen Blutprobe ins Krankenhaus. Da kann man von den abgeholten holländischen Fahrern etwas mehr Gelassenheit erwarten: auch wenn Holländer es nicht gewohnt sind, auf Dope kontrolliert zu werden.
In Wirklichkeit ist der ganze Streik nur inszeniert worden, um Pantani eine Ruhepause zu gönnen und Jan Ullrich daran zu hindern, anzugreifen und aufzuholen. Oder die kommunistische Drahtzieherin im Hintergrund hat noch ganz andere Pläne. Vielleicht will sie im Auftrag Moskaus die Tour de France zur Tour de Farce degradieren, damit in Zukunft das transsibirische Radrennen Moskau-Wladiwostok den Platz der Tour einnehmen kann: erst das Zeitfahren bis zum Ural, dann bestialische Klettertouren im unwegsamen Ural, dann Tausende von Kilometern flache Steppe, Schwärme von Mücken in der Luft, gaffende Kalmücken am Straßenrand, endlose Ödnisse, dann endlich ein kleiner Abstecher auf das Dach der Welt, den Himalaja, und runter geht’s zum Finale an den Pazifik.
Vielleicht ist die kommunistische Sportministerin aber auch nur daran interessiert, europäisches und französisches Recht durchzusetzen, gemeinsam mit Justiz und Polizei. Das wäre zwar langweilig und im Radsport eine besonders undankbare Sisyphos-Arbeit, aber immerhin möglich. – Solingen 30. Juli 1998