Das Bild des Deutschen im polnischen Film
Das sollte eigentlich der Titel meiner Magisterarbeit im Fach Filmwissenschaft werden, aber die Aussicht, einige Dutzend Filme möglicherweise sogar im polnischen Original anschauen zu müssen, verschreckte meinen Professor dermaßen, dass er dieses Thema partout nicht akzeptieren wollte. Da er seinen wahren Grund mir gegenüber natürlich nicht offen legen wollte, verschob er die Entscheidung auf den Sankt Nimmerleinstag und ließ mich ein Exposé nach dem anderen anfertigen, bis ich entnervt aufgab, ihm das Thema schmackhaft zu machen, und mich Kieślowskis Dekalog zuwendete.
Seither verstaubt das umfangreiche Material, das ich 1989 unter abenteuerlichen Umständen gesammelt habe, in diversen Aktenordnern, und die Videos der Spielfilme, die mir ein Mitarbeiter des polnischen Fernsehens besorgte, warten darauf, mal wieder abgespielt zu werden. Aber mindestens ein Jahr würde es dauern, bis aus meinen verstreuten Notizen so etwas wie ein Buch entstanden wäre. Und diese Zeit habe ich natürlich nicht. Vielleicht spare ich mir das Thema für eine Promotion im Rentenalter auf. Wahrscheinlich muss ich dann mit meiner kleinen Rente sowieso in der Mensa essen.
Das polnische Trauma
Das Besondere am polnischen Film ist, dass er sich in den ersten Jahren nach dem Krieg fast ausschließlich mit den ›Deutschen‹ beschäftigt. In den Nachkriegsfilmen wird die unmittelbare Vergangenheit, das polnische Trauma, filmisch aufgearbeitet, so dass zwangsläufig Deutsche als Soldaten und KZ-Aufseher im Film auftauchen und, wie die Indianer in den frühen Western, als äußere Macht ein Geschehen in Gang setzen, vor dessen Hintergrund heroische, tragische und komische Geschichten ihren Lauf nehmen. Aufgrund dieser Konstruktion bleibt das Bild vom Deutschen notwendigerweise stereotyp: er ist zumeist dumm und bösartig, wobei insbesondere in den frühen Filmen, die deutsche Gewalt lediglich angedeutet wird, da sie den Zuschauern aus eigenem Erleben noch gut im Gedächtnis war.
In Filmen aus den 60er und 70er Jahren wird das Bild des Deutschen facettenreicher und gebrochener. Es findet, insbesondere durch Munk, Wajda und Kutz eine sehr intensive Auseinandersetzung mit den Deutschen statt. Das Phänomen der deutschen Gewalt wird nun ernsthafter untersucht, so dass die Schablonen mehr und mehr aufgeweicht werden. Ganz verschwindet der kriegslüsterne Deutsche jedoch nicht.
Ohne zu übertreiben, kann man sagen, dass die Auseinandersetzung mit den Deutschen den polnischen Nachkriegsfilm wie ein roter Faden durchzieht, der erst am Ende der 70er Jahre, als im Umkreis der Solidarność aktuelle, gesellschaftspolitische Themen in den Vordergrund traten, gekappt wird.
In einigen Filmen erfüllt die stereotype Zeichnung des ›bösen‹ Deutschen vordergründig propagandistische Zwecke. Zwar genossen die polnischen Filmemacher größere Freiheiten als ihre Kollegen in anderen sozialistischen Ländern, dennoch war das Kino eingebunden in die sozialistische Staatsräson.
Kurz vor der Gründung der Gewerkschaft Solidarność und dann im Jahre 1987 war es vor allem das Fernsehen, das, sicherlich auch unter propagandistischen Gesichtspunkten, das Thema wieder aufgreift. In der mehrteiligen Fernsehserie ›Najdłuższa wojna nowoczesnej Europy‹ (Der längste Krieg des modernen Europas) wird ein großes Tableau deutsch-polnischer Verwicklungen gezeichnet, das erneut ein stark vereinfachtes Bild vom Deutschen zeigt und die deutsche Gewalt in drastischen Bildern schildert.
Den Wandel in den Darstellungsformen kann man anhand von drei KZ-Filmen anschaulich beschreiben: ›Ostatni etap‹ (Die letzte Etappe) von Wanda Jakubowska aus dem Jahr 1948, ›Pasażerka‹ (Die Passagierin) von Andrzej Munk aus 1960 und ›Kornblumenblau‹ von Leszek Wosiewicz aus dem Jahr 1988. Es lässt sich an diesen Filmen exemplarisch zeigen, dass das Bild des Deutschen im polnischen Film eine frühe, mittlere und eine späte Phase durchläuft.
Das Verschwinden des Deutschen
Das typische Bild des Deutschen, das drei Jahrzehnte lang in unterschiedlichen Variationen das polnische Kino prägt, verschwindet plötzlich, als die Angst vor den Deutschen und der Kampf gegen die Besetzung im Zweiten Weltkrieg keinen Einfluss mehr auf die Identifikation der polnischen Gesellschaft hatte. Dies war spätestens Ende der 70er Jahre der Fall. Nun beherrschten für ein Jahrzehnt polnische Problemfilme (Das Kino der moralischen Unruhe) oder eskapistische Schnulzen und Komödien das Kino, bis dann am Ende der 80er Jahre mit Kornblumenblau erneut der Versuch gemacht wurde, das Grauen von Auschwitz in drastischen und imaginativen Bildern nachgeborenen Generationen zu verdeutlichen.
Über ein Fazit bin ich mir noch nicht ganz im Klaren.
Bemerkenswert ist jedoch, dass der weitaus größte Teil aller Filme in den 50er und 60er Jahren in irgendeiner Form das deutsch-polnische Verhältnis thematisieren. In kaum einer nationalen Kinematographie hat der Deutsche als filmische Figur eine so wichtige und weitreichende Rolle gespielt wie in der polnischen. Verständlich wird dies nur vor dem Hintergrund des polnischen Traumas: zwischen den mächtigen Nachbarn im Osten und Westen aufgerieben zu werden.
Im seichten, deutschen Nachkriegsfilm spielt Polen dagegen so gut wie keine Rolle. Das Interesse für das Nachbarland wurde erst mit der Entstehung der Gewerkschaft Solidarność und im Zuge einer generationenübergreifenden Heimatnostalgie geweckt und schlägt sich seither fast ausnahmslos in dokumentarischen Fernsehfilmen nieder. Sehenswerte Spielfilme, wie ›Zakazane piosenki‹ (Verbotene Lieder, 1946) ›Ostatni etap‹ (Die letzte Etappe, 1948), ›Kanał‹ (Kanal, 1956), ›Krzyżacy‹ (Die Kreuzritter, 1960), ›Pasażerka‹ (Die Passagierin, 1960), ›Sąsiedzi‹ (Nachbarn, 1969), ›Krajobraz po bitwie‹ (Landschaft nach der Schlacht, 1970), ›Sól ziemi czarnej (Das Salz der schwarzen Erde, 1970), ›Ziemia obiecana‹ (Gelobtes Land, 1975), ›Magnat‹ (1987) und ›Kornblumenblau‹ (1988) sind dabei bisher noch nicht entstanden. – Solingen 11. August 1998