Plappermäulchen
Also Claudia ist schon ein ziemlich vorlautes Plappermäulchen! Pfui! Da gibt es nur eins: Kräftig den Mund einseifen als Strafe für jemanden, der so böse Worte in den Mund nimmt wie ›Mehrwertsteuererhöhung‹.
Das darf auch Papas Liebling nicht. Dabei war sie doch so lieb vor ein paar Tagen. Ging brav vor die Presse und log was das Zeug hielt. Jetzt hilft ihr dieser bis zur Selbsterniedrigung gehender Liebesbeweis auch nichts mehr. Papa Kohl schmollt und zwar mit Recht, hat sie ihren großen dicken Ziehvater doch ordentlich in Bedrängnis gebracht.
Claudia Nolte hat sich verplappert und den Wählern verraten, was diese, so sie des Denkens mächtig sind, schon immer gewusst haben: die CDU plant eine Mehrwertsteuererhöhung, um ihre üppigen Steuergeschenke an Besserverdienende und die boomende Wirtschaft zu finanzieren. Waigel sagt natürlich: alles dummes Zeug. Aber wer kann Waigels Ausführungen noch folgen? Durch sein finanzpolitisches Chaos blickt er selbst kaum noch durch. Zwischen lauter Schattenhaushalten wirkt der milliardenschwere offizielle Haushalt wie die Portokasse der Deutschen Bank.
Die neue Regierung, so es denn eine geben wird, braucht mindestens ein Jahr, um das kunstvolle Geflecht des Finanzjongleurs Waigel auch nur halbwegs zu durchschauen. Und dann werden sie sich wünschen, die Wahl nie gewonnen zu haben. (Vielleicht ist Schröder deshalb so scharf auf eine Große Koalition, damit es wenigstens einen gibt, der ihm die Waigelsche Hinterlassenschaft in vier Jahren erklären kann.)
Wird Nolte Kohl um kostbare Prozente bringen? Wer weiß? Der durchschnittliche CDU-Wähler ist ein Junkie. Und kennen Sie einen Junkie, der von einem Dealer kauft, der eigenhändig Warnhinweise auf seine Plastiktütchen schreibt: ›Heroin macht Pickel!‹
Die durchschnittliche CDU-Wählerin ist wie eine alternde Geliebte, die lautstark und unbefriedigt bettelt: Machs noch einmal, Helmut! Und dann mittendrin, wenn die Lust des Betrügers und der Betrügten dem gemeinsamen Höhepunkt entgegeneilt, kommt die Kleine aus dem Osten ins Schlafzimmer und plappert die nackte, öde Wahrheit aus. Das verstimmt! Da muss man sich wohl nach einem anderen Liebhaber, einem anderen Dealer umschauen. Doch der Neue, dieser Schröder, ist ja viel unberechenbarer als Kohl. Da weiß man ja nun gar nicht mehr Bescheid. Lügt er nun? Oder lügt er nicht? Und was wäre besser? Wenn er lügt, oder wenn er es ehrlich meinte? Wie soll man das wissen? Die Welt will betrogen werden. Aber das Betrogenwerden macht immer weniger Spaß. Erst sagen die Grünen die Wahrheit. Dann faselt Schröder was von Finanzierungsvorbehalten. Klar, bei Waigels kreativer Buchführung weiß man ja noch nicht einmal, ob man nächstes Jahr noch die Diäten auszahlen kann. Und dann kommt auch noch das Plappermäulchen. Und die anderen scheinen auch irgendein Wahrheitsserum gesoffen zu haben. Westerwelles Liberale, denen nach fast dreißig Jahren Regierungsbeteiligung wirklich keine Lüge mehr einfällt, warum man sie noch einmal wählen sollte, kleben aus lauter Verzweiflung nun einfach die schlichte Wahrheit: ›Wir oder die‹ lautet die Parole auf ihren neuen Plakaten. Also wirklich, ihre pure Machtgeilheit könnten sie nun wirklich etwas netter verpacken! Grundgütiger, der Wahlkampf legt Abgründe frei!
– Noch 11 Tage… – Solingen 16. September 1998