Dezentes Grau ist in

Das Sudelbuch erscheint seit heute frisch und neu in dezentem Grau. Immerhin ist es Herbst, und wer etwas auf sich hält, trägt nun die neue Herbstkollektion von Armani, Boss oder Cardenal. Grau ist in. Sogar Joschka Fischer kam in anthrazitgrauem Zwirn mit seinem Kanzler zu Clinton, um zu zeigen, dass Rotgrün nur eine im übertragenen Sinne gemeinte Farbe ist.

Grau ist seriös und kompromissfähig und listig. Was die graue Realpolitik so alles vermag, werden die Firmen Siemens, Thyssen und Adtranz schon sehr bald zu spüren bekommen. Die Grauen stehen, wie Schröder lauthals verkündete, voll und ganz hinter dem Transrapid, wenn, ja wenn die Industrie, also Siemens, Thyssen und Adtranz die Mehrkosten für den Bau der Strecke Hamburg-Berlin tragen. Die Konzernlobbyisten können also wieder da anfangen, wo sie vor fünf Jahren bei den Schwarzen schon einmal waren. Bleibt nur zu hoffen, dass die Deutsche Bahn AG in der Zwischenzeit wenigstens schon mal eine provisorische ICE-Strecke von Hamburg nach Berlin baut. Die muss ja nur so lange taugen wie die provisorische Hauptstadt am Rhein.

Bei der ökologischen Steuerreform, also dem eigentlichen Reformwerk der nächsten vier Jahre, drückt Schröder und die SPD noch kräftig auf die Bremse. Es ist halt schwer, Zukunftspolitik mit jemandem zu machen, der sich ›Mann des Automobils‹ nennt und eine Partei im Rücken hat, die glaubt, der wahre Sozialismus bestehe darin, dass jede Arbeitnehmerfamilie einen neunzig PS starken Zweitwagen besitzt.

Ich selbst habe die Grünen am 11. Oktober zur Sicherheit gleich schon einmal präventiv gescholten, wenn sie sich von 5 Mark auf sechs Pfennige runterhandeln lassen. Aber man muss die Dinge auch einmal realistisch in anthrazitfarbigem Zwirn betrachten. Zwar wäre ein Spritpreis von 5 Mark in zehn Jahren durchaus vernünftig, und hätten die Grünen die absolute Mehrheit erreicht, so könnten sie das Benzin ja auch munter um 3 Mark 50 verteuern. Vernunft und Demokratie sind nun aber zwei ganz verschiedene Paar Schuh, und daher sind die Grünen auch nur auf 6,7% gekommen. Dieser Prozentsatz aber entspricht einer Benzinpreiserhöhung von genau dreiundzwanzigeinhalb Pfennig innerhalb der nächsten zehn Jahre. Und da haben die Grünen mit der Kröte 6 Pfennig fürs erste Jahr nun wirklich nicht mehr geschluckt, als sie – fürs erste – verdauen können. Wenn die ergrauten Roten dann wirklich einmal die Lohnnebenkosten senken wollen, haben die schiefergrünen Realos sicherlich einen ökonomisch vernünftigen und ökologisch wünschenswerten Finanzierungsvorschlag zu machen. – Solingen 18. Oktober 1998