Der Pferdeflüsterer
Vorgestern war es, da sage ich zu meiner Frau: »Der ist in einem halben Jahr wieder weg.« – Naja, auch ich kann mich mal irren. Er ist erst gar nicht angetreten. Politik ist eben wie die Katholische Kirche nichts für Laien. Wer von der Seite einsteigt, denkt häufig auch verquer, und das macht sich überhaupt nicht gut in einer Zeit, wo von überall her der Ruf nach Quotenfrauen, Quotenossis, Quotenlinken und Quotenrechten laut wird. Die Quote stand schon immer gegen Stollmann; Schröder hat da wohl aufs falsche Pferd gesetzt. – Oder er hat, geschmeidig wie er ist, schnell mal wieder die Pferde gewechselt. Wie dem auch sei, Stollmann war von Anfang an ein lahmer Gaul, und das obwohl oder weil er beruflich ein sicherer Tipp war. Der passte zur SPD wie ein Araber vor die Bierkutsche. Der neue Seiteneinsteiger ist immerhin schon mal Schröders Berater gewesen. Ein Semiprofessioneller also, der sich schon weniger störrisch ins sozialdemokratische Joch einspannen lässt.
Es ist vollzählig das Kabinettsgespann, das den Karren wieder aus dem Dreck ziehen soll, in den es die abgehalfterte Regierung hineingeritten hat. Und es ist nicht kleiner geworden, wie einmal großspurig angekündigt worden ist. Scheinbar ist der Schlamassel so tief, dass erneut eine ganze Pferdekoppel voll Minister am Karren zerren muss. Oder wollte einfach jeder Pferdezüchter sein Ross im Joch der rotgrünen Regierungskutsche sehen?
Zahlreiche Gäule, Stuten wie Hengste, scheuten jedoch vor dem Ministeramt, bäumten sich auf und gebärdeten sich wie toll. Selbst ein Wallach sträubte sich vor dem glänzenden Geschirr und wollte partout nicht den Stall verlassen, wohl um den karrierefördernden Stallgeruch nicht zu verlieren. Doch der Herrscher mit dem Schlachtross im Wappen hat sie alle gezähmt. Mit mächtigen Knutenstößen und schmeichelnden Worten hat der Pferdeflüsterer rote Stuten, zappelige Rösser, wilde Mähren, zittrige Falben, wendische Gescheckte, nervöse Schimmel, räuberische Rappen, taktierende Trakehner, trabende Hannoveraner, orthografische Holsteiner, getürkte Araber, obdachlose Berber, geflohene bosnische Gebirgspferde, betende Dülmener, Parteitagsesel, Kreisverbands-Maultiere, esoterische Finnpferde, näselnde Freiberger, witzelnde Friesen, haferfressende Haflinger, bucklige Highland Ponies, geschäftsführende Kaltblüter, geschäftige Kladruber, hauende Knabstrupper, lispelnde Lipizzaner, tobende Palominos und niedliche Shetland Ponies für den großen neuen Zirkus dressieren können. – Hereinspaziert, meine Damen und Herren, der große Gerhardino wird Sie nun mit seiner großen, unerreichten, weltberühmten Pferdenummer begeistern! Kommen Sie! Sehen Sie! Staunen Sie!
Nun wollen wir es aber mit den Wesen der Familie Hippo genug sein lassen! Nur eins muss noch erwähnt werden. In den letzten Wochen bekamen verdammt viele parteitreue Klepper der alten Kavallerie noch ein stattliches Gnadenbrot zugeschustert, an dem sie sich weidlich mästen werden. – Wieso muss ich nur die ganze Zeit an Rheinischen Sauerbraten denken? – Solingen 19. Oktober 1998