Exportnation Russland
Russland ist eine Exportnation. Das Land verzeichnet einen gewaltigen Exportüberschuss und hat den ehemaligen Exportweltmeister Deutschland schon längst überholt. Schuld daran ist aber nicht die rotgrüne Koalition in Bonn. Es waren weitblickende internationale Verträge, die diesen Exportboom einer von wirtschaftlichen Erfolgen nicht gerade verwöhnten Nation möglich machten. Lediglich bei der Diversifikation liegt Russland noch deutlich hinter den übrigen Exportnationen zurück, denn es ist im Wesentlichen ein einziges Produkt, das Russland auf den Weltmärkten anzubieten hat.
Der misstrauische Leser wird sich nun fragen, welches russische Produkt denn dem rauen Wind auf den Weltmärkten gewachsen ist? Schließlich will heute niemand mehr leckgeschlagene Atomsprengköpfe, angereichertes Uran der Handelsklasse III, tropfende chemische Massenvernichtungswaffen, in der Ukraine getestete Atomkraftwerke, durchgeknallte Söldner oder schlecht blondierte Prostituierte kaufen.
Wer den Russen eine solch unappetitliche und veraltete Exportstrategie unterstellt, offenbart ein erschreckend einseitiges Weltbild. Diese Zeiten sind vorbei; auch in Russland ist Innovation und Qualität angesagt. Nach jahrelangen Entwicklungsarbeiten und intensiven Marktstudien ist es den Russen gelungen, ein Produkt zu entwickeln, dass nirgendwo sonst auf der Welt mit einer solchen Präzision hergestellt werden kann. Es ist ein modernes Produkt, und es ist ein typisch russisches Produkt.
Ich spreche vom Mangel. Was könnten die Russen besser vermarkten als den Mangel. Immerhin haben sie eine jahrhundertealte Tradition in der Überproduktion von Mangel. Und die lassen sie sich nun vergolden.
Viele Leser, insbesondere DDR-erfahrene Leser über 16, werden vielleicht wissen, wie man den Mangel verwaltet, wie man ihn aber Gewinn bringend vermarktet, dürfte vielen schleierhaft sein. Und tatsächlich ist es uns Deutschen trotz der vielen Existenzgründer-Wettbewerbe noch nicht wie den Russen gelungen, einen solchen Marketing-Coup zu landen. Was sich da in den einschlägigen Wettbewerben tummelt sind akademisch-verstaubte Marketingblindgänger, die ohne eine dauerhafte Anschubfinanzierung im Rohr krepieren. Die Russen dagegen haben eine Methode gefunden, auf dem internationalen Börsenparkett ihren Mangel zu Höchstkurse abzusetzen. Sie handeln weltweit mit Emissionsgutscheinen. Sie benötigen dafür keine aufwendige Logistik, weshalb sie ihre Lastwagenfahrer ja auch schon an der holländischen Grenze kostensparend entsorgt haben. Jedesmal, wenn eine russische Fabrik vor Altersschwäche ihren Geist aufgibt, können die russischen Manager die Emissionsrechte dieser Fabrik weltweit für harte Devisen vertickern. Da so gut wie jede russische Fabrik nur noch durch amtliche Verfügungen vor dem Einsturz bewahrt wird, dürfte sich in Russland in Kürze ein ungeahntes Wirtschaftswunder ereignen.
Die russische Geschäftsidee wird in Buenos Aires (welch treffender Name!) auf dem 1. Welt-Existenzgründerwettbewerb mit dem goldenen Auspuffrohr ausgezeichnet. Wie hieß es doch so treffend in der DDR? Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen. – Solingen 2. November 1998