Verbrecherkarrieren
Eigentlich ist es noch viel zu früh, um abschließend über die Karriere des PKK-Chefs Öcalan zu schreiben. Nur eins steht fest: Man muss als Terrorist einfach nur lang genug leben, um einmal Staatschef, Präsident oder Friedensnobelpreisträger zu werden. Beispiele findet man zuhauf in jedem x-beliebigen Geschichtsbuch. Nehmen wir einmal, um im Nahen Osten zu bleiben, Menachem Begin, der von den Engländern als Terrorist gesucht wurde, später dann Ministerpräsident von Israel wurde und schließlich sogar den Friedensnobelpreis erhielt, bloß weil er mit Ägypten keinen Krieg mehr führen wollte. Sein Gegenspieler, der Flugzeugentführer Jassir Arafat, hat sich ebenfalls verpuppt und flattert nun als knuddeliger, greiser Namenspatron eines internationalen Flughafens über den Flickenteppich seines virtuellen Palästinenserstaates.
Ob Öcalan es auch noch so weit bringen wird, kann noch niemand wissen. Zunächst einmal hat er durch seine Reise nach Italien auf politischer Ebene das vollbracht, was man eine Zwickmühle zu nennen pflegt. Und in der stecken Italien, Deutschland und die Türkei. Italien hat Öcalan verhaftet, weil gegen ihn ein deutscher Haftbefehl vorliegt. Diese unter EU-Mitgliedern eigentlich selbstverständliche Amtshilfe, nimmt Bonn den Italiener nun aber übel, denn man will hierzulande nichts weniger als einen Prozess gegen Öcalan. In einem Land wie Deutschland, in dem so viele Türken und Kurden Tür an Tür wohnen, ist ein solcher Prozess nicht opportun. Hinterher blockieren die Kurden wieder stundenlang die Autobahnen. Eine Horrorvorstellung, gibt es in Deutschland doch schon genug politisch motivierte Staus!
Deutschland will ihn also nicht diesen Kurdenführer, der als letzter auf der Welt noch einen Stalinbart trägt. Italien will ihn auch nicht. Und die Türkei kriegt ihn nicht, obwohl die ihn will. Noch. Noch kriegen die Türken ihn nicht, denn wenn die neue türkische Regierung sich geschickt anstellt, dann schafft sie kurzerhand die Todesstrafe ab, und die Türken kriegen ihn vielleicht doch noch. Falls sie ihn noch wollen, wenn sie ihn nicht mehr umbringen dürfen. Denn ein gefangener Freiheitskämpfer liegt schwer im Magen, davon kann so mancher Unrechtsstaat ein Lied singen. Das Menetekel Mandela dürfte noch allen Halbdiktaturen frisch im Gedächtnis sein. Öcalan in einem türkischen Gefängnis, das könnte der Anfang vom Ende für die Türken in Kurdistan sein. Vielleicht bleiben die Türken aber auch stur, behalten ihre Todesstrafe, wie unsere große westliche Führungsmacht, bekommen dann aber weder Öcalan noch die Chance, in nächster Zeit EU-Mitglied zu werden.
Besonders klug ist Schröder, unser Kanzler. Der möchte Öcalan vor ein internationales Gericht stellen. Ich fand das zunächst übertrieben: ein ganzes Nürnberg für einen einzelnen kurdischen Terroristen? Doch dann erkannte ich das Geniale in Schröders Schachzug: Ein internationales Gericht würde natürlich auch die Hintergründe des kurdischen ›Terrorismus‹ beleuchten. Und da säße die Türkei schnell mit auf der Anklagebank.
Militärisch hat die türkische Armee vermutlich den Kampf gegen die PKK längst gewonnen. Doch nun wirft sich Öcalan persönlich in den Kampf und könnte damit Erfolg haben. Wir sollten seine Karriere weiterhin gut beobachten.
Morgen im Sudelbuch: Verbrecherkarrieren, Teil 3: Pinochet oder: Man muss als Verbrecher nur alt genug werden, dann ist man verhandlungsunfähig. – Solingen 28. November 1998