Man ist ja kein Kostverächter
Es gibt immer noch Unternehmen, die darunter leiden, dass wir ihre hohe ethische Gesinnung nicht erkennen und entsprechend würdigen. Üblicherweise wird dann eine Werbeagentur engagiert, die nach langwierigen konzeptionellen Hirnstürmen vorschlägt, eine Imageanzeige in einer überregionalen Wochenzeitschrift zu schalten. Da diese Idee nicht sehr originell ist, muss natürlich die Anzeige selbst um so origineller sein. Doch Originalität will nicht so recht zu den hohen ethischen Idealen multinationaler Konzerne passen, weshalb die Werbeagentur erst gar nicht versucht, sich ihr Honorar rechtschaffend zu verdienen. Doch dies soll keine Philippika gegen die Werbewirtschaft werden.
Mir fiel beim Blättern in der WOCHE eine Anzeige der British American Tobacco Germany ins Auge, in der die B.A.T. hoch und heilig beschwört, ihre HBs, Luckies, Pall Malls, Prince Denmarks, Benson & Hedges und Gauloises nicht an Kinder und Jugendliche verkaufen zu wollen. Und weil man mit dieser Anzeige jene Jugendlichen eben nicht ansprechen will, sondern greise alte Männer in den Entscheidungszentralen von Politik und Medien, hat man ein locker-legeres Bild in die Anzeige geklatscht, auf der sich die süßen Apfelbrüstchen einer vierzehnjährigen – selbstverständlich vollständig bekleideten – Lolita knackig scharf in den Vordergrund recken. Links von Lolita lächelt ein zweites Früchtchen mit ebenso süßen Brüstchen in einem wildgeblümten T-Shirt und im unscharfen Hintergrund lungern zwei Burschen herum, die aussehen, als würden sie den lieben langen Tag auf ihren Skateboards durch unsere Fußgängerzonen düsen. Alle vier sehen so aus, als hätten sie weder die Zigarette danach, noch das davor jemals ausgiebig genossen. Und so vermittelt uns die Überschrift auch sehr glaubhaft mit unverblümter Direktheit den ethischen Anspruch der Zigarettenfirma: »Andere Unternehmen sehen hier eine Zielgruppe. Wir nicht.«
Und das darf der Leser ruhig glauben, denn – wie ich schon sagte, die Buben und Mädels auf dem Bild sind nicht die Zielgruppe dieser Anzeige, sondern die Lockvögel.
Den Text der Anzeige muss man sich jedoch auf der Zunge zergehen lassen.
»Kinder und Jugendliche sind heute die am schärfsten umworbene Zielgruppe: Sie verfügen bereits über erhebliche Kaufkraft und sind die begehrten Konsumenten von morgen. Wir verzichten auf diese Zielgruppe und wünschen uns, daß unsere Produkte nicht von Jugendlichen gekauft werden. Cigaretten sind Genußmittel für erwachsene Verbraucher und sollten nicht gedankenlos konsumiert werden – schon gar nicht aus dem Gefühl heraus, ›dazugehören‹ zu wollen.«
Und damit die greisen Männer der Zielgruppe auch wirklich richtig verstehen, heißt es zum Abschluss augenzwinkernd und hedonistisch:
»Jede Cigarette, die man nicht bewußt genießt, ist eine zuviel.«
Übrigens: Die Schreibweise von Zigarette mit ›C‹ ist in meinem Duden nicht verbürgt. Aber vielleicht hat das ›C‹ etwas mit dem bewussten Genuss knackig süßer Apfelbrüstchen zu tun? Man ist ja kein Kostverächter. – Solingen 14. Dezember 1998