Jemenitische Infrastrukturpolitik
Bei uns wurde schon so manche Autobahn auf dem Golfplatz geplant und auf der Straße verzögert oder sogar verhindert. Unsere Lokalpolitiker müssen deshalb Golf spielen oder gut skandieren können, um wiedergewählt zu werden.
Im Jemen erwartet man von Lokalpolitikern ganz andere Tugenden, wenn es darum geht, Straßen, Krankenhäuser oder Schulen zu bauen. Wer sich seinen Anhängern im Jemen als fähiger Politiker präsentieren möchte, der muss z. B. gut entführen können, und zwar am besten Ausländer, um der Zentralregierung wichtige Infrastrukturmaßnahmen abzuluchsen. Kopfschüttelnd nehmen wir wieder einmal zur Kenntnis: andere Länder, andere Sitten. Aber kaum habe ich die tiefe Zufriedenheit ausgekostet, die sich einstellt, wenn man über andere Sitten herablassend seinen Kopf schütteln kann, da muss ich an ein Dorf in Brandenburg mit dem schönen Namen Dolgenbrodt denken. Dort wurden zwar keine Ausländer entführt, aber dennoch auf dem Rücken von Fremden lokale Infrastrukturpolitik betrieben und der Zuzug von Afrikanern, vielleicht sogar von Jemeniten, verhindert, indem man jemanden fand, der das neue Asylbewerberheim kurzerhand anzündete. – Ein bisschen Jemen ist wohl überall. – Solingen 2. Januar 1999