Verbrecher aus Staatsbürgerschaft?
Seit gestern schaue ich mir meinen türkischen Gemüsehändler etwas genauer an. Schließlich soll von ihm, sobald er einen deutschen Pass besitzt, eine viel größere Gefahr ausgehen, als von der RAF der ersten, zweiten, dritten oder vierten Generation. Das meint jedenfalls der christlich-soziale Führer aller Bayern, Edmund Stoiber. Und nachdem ich ihn heute – Stoibers Worte im Ohr – minutenlang angestarrt hatte, da glaubte ich genau zu erkennen, wie er zwischen Hammelfleisch und Paprika den baldigen Mord an einem Arbeitgeberpräsidenten oder einem Vorstandsvorsitzenden plante. Schon die Art, wie er sein Fleischmesser schärfte, verriet mir den Meuchelmörder, der nur darauf wartet, endlich mit deutschem Pass in der Tasche losschlagen zu können.
Stoibers Weitblick beeindruckt mich tief. Mir war bisher nicht bewusst, dass es einen Zusammenhang zwischen der Staatsangehörigkeit und dem Hang zur Kriminalität gibt. Natürlich weiß ich, dass es in der Welt da draußen Leute gibt, die fest davon überzeugt sind, dass alle Deutschen Nazis, also Mörder und Terroristen sind. Laut Stoiber muss an diesem Vorurteil aber was dran zu sein, wie sollte man es sich sonst erklären, dass aus einem friedfertigen türkischen Gemüsehändler über Nacht durch die doppelte Staatsangehörigkeit ein Terrorist und Massenmörder werden soll. Und da es schon 80 Millionen Deutsche gibt, muss eine Vergrößerung dieses Sicherheitsproblems natürlich mit allen Mitteln verhindert werden. Jedem vernünftigen Menschen sollte ein friedlicher Türke allemal lieber sein, als ein mordender und brandschatzender Deutscher. Und die Türken sollten froh sein, dass Stoiber und Schäuble alles in ihrer Macht liegende tun wollen, um ihnen zu helfen, ehrbare Bürger zweiter Klasse zu bleiben. Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber (CSU) fasste seine Menschenfreundlichkeit in besonders schnittige Worte: »Dies (die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft) führt zu einer Zwangsgermanisierung, weil Kinder dann gegen den Willen ihrer Eltern einen deutschen Pass bekommen können.« Also wenn es einen Weg gibt, zu verhindern, dass der Gemüsekisten schleppende Sohn meines türkischen Gemüsehändlers durch einen deutschen Pass zu einem ausländerklatschenden Skinhead wird, dann sollten alle wahren Demokraten ihn gehen und versuchen Schäuble, der schon mal vorgerollt ist, wieder einzuholen. – Solingen 6. Januar 1999