Mahnmal für bedrohte Völker
Während Bodo Hombach, der Schrödersche Ben Wisch, zum letzten Mal die Spendierhosen anzieht und für die, die partout nicht sterben wollen, noch einmal die Geldbörse hervorholt, rettet sich der Bundes-Geheimrat Naumann, dem Eisenmans Betonblöcke so schwer auf der Seele liegen, in einen neuen Wettbewerb. Das scheint ihm der einzige Fluchtweg zu sein, da es ihm nicht gelang, mit seinem Kombi-Paket ›Gedenken und Schmökern zum halben Preis‹ zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen. Ganz im Gegenteil: wie dicke schwarze Fliegen sind die zahllosen Betonstelen Eisenmans aufgeflogen und summen nun um Naumanns Weinkenner-Nase herum. Da hilft kein Fuchteln und kein Jammern: versöhnen statt spalten, ist eben nicht so einfach.
Die Diskussion, die den für den deutschen Geist so beängstigenden Zustand der Entscheidungsreife erreicht hatte, wird nun wieder fleißig im Kreise herumgejagt. Wobei angesichts der allgemeinen Ermüdungserscheinungen sich nun auch gefahrlos die Buchhalter zu Wort melden dürfen. Und so hörte man in letzter Zeit Stimmen, die sich öffentlich fragten, ob man das riesige Grundstück für das Mahnmal nicht gegen das kleinere Grundstück am Pariser Platz tauschen könnte, wo die Amerikaner so große Schwierigkeiten haben, eine bombensichere Botschaft zu bauen. Damit hofft man, die den Geheimrat piesackenden Fliegen endlich totschlagen zu können. Die Amerikaner könnten sich auf dem ehemaligen Mahnmalgelände gegen Mullahs und schießwütige Texaner einbunkern und auf dem kleinen aber noch näher am Reichstag gelegenen Grundstück könnte man ein etwas kleineres, bescheideneres und weniger auffälliges Denkmal errichten.
Schließlich darf man auch nicht vergessen, dass der Platz, den der Holocaust – und damit auch sein Denkmal – in unserer Geschichte einnimmt, mit der Zeit immer kleiner wird, da die deutsche Geschichte insgesamt, rein rechnerisch gesehen, immer größer wird. Und man braucht sich nur einmal die ungezählten Bismarckdenkmäler zu vergegenwärtigen, die vor sich hinmodern und nach und nach ganz stickum entsorgt werden.
Eine vorausschauende Stadtpolitik muss diese historische Relativitätstheorie natürlich berücksichtigen. Denn steht ein solches Denkmal erst einmal, kann man das Grundstück weder gewinnbringend verkaufen noch an Daimler und Sony verschenken. Und man weiß doch, wie schwer es ist, neben einer KZ-Gedenkstätte einen Supermarkt zu errichten. Hinterher fordern noch interessierte Kreise, die Auschwitzkeule schwingend, man solle das Brandenburger Tor, den Pariser Platz und sogar das Hotel Adlon abreißen, um die Würde des Holocaust-Denkmals nicht zu stören.
Das Beste wäre also, das Holocaust-Denkmal dort zu errichten, wo es auch in fünf oder zehn Jahren niemanden stört. Vielleicht mitten in einem streng geschützten Naturschutzgebiet, wo Tierschützer rund um die Uhr die letzten Seeadlereier bewachen. Ein solcher Standort würde ja auch inhaltlich zum Mahnmal passen, waren die Juden doch auch einmal vom Aussterben bedroht und werden heutzutage in Deutschland fast so gut behütet wie eine bedrohte Tierart.
Doch würde diese Lösung, wie jede andere auch, eine Entscheidung erfordern, wovor unsere Politiker wie der Teufel vorm Weihwasser zurückschrecken. Daher vermute ich, dass man spätestens am Ende des zweiten Wettbewerbs die Fliegen selbst zum Mahnmal erheben wird und in guter alter Grundgesetztradition künftigen Generationen die Aufgabe mit auf den betongepflasterten Weg gibt, ein würdiges Mahnmal zu schaffen. Und wie leicht es ist, ein im Grundgesetz gemachtes Versprechen wieder zu kassieren, haben wir 1990 ja erlebt. – Solingen 4. Februar 1999