Das Züngeln der Schlange
In Bonn zischelt und züngelt es wieder. Die freidemokratische Schlange erhebt wieder ihr zerzaustes Haupt. Man konnte fast die Uhr danach stellen. Es war ja schon bewunderungswürdig, wie die FDP es ganze 100 Tage tapfer in der Opposition ausgehalten hat, ohne ihr Mäntelchen nach dem Wind zu drehen. Doch nachdem die Flitterwochen in der rotgrünen Koalition vorbei sind und mehr Porzellan zwischen Schröder und Trittin zerschlagen wurde, als Lafontaine Tafelsilber zum Verscherbeln hat, lässt die FDP nun wie ein alterndes, dafür aber besonders wohlfeiles Freudenmädchen ihre schwarzen Trauerhüllen fallen und schreit machtgeil: »Nimm mich!«
Nun kann man es den Freidemokraten nicht verdenken, dass sie Schröder im Politischen das angedeihen lassen wollen, womit Monika Lewinsky Herrn Clinton im Organischen erfreute. Sie wittern Morgenluft bzw. Schröders Havannaduft und möchten doch gar zu gerne wieder an die süßen Tröge der Macht zurück.
Schröder hätte natürlich lieber den Praktikanten Westerwelle im Oval Office als die prinzipientreue Ehefrau Trittin am Kabinettstisch. Unter vier Augen mit Westerwelle ließe sich auch viel leichter an der SPD vorbeiklüngeln. Jeder Tritt gegen Trittin ist schließlich auch einer gegen den Atomaustrittsbeschluss der SPD. Und so ganz langsam scheint diese verschlafene Großpartei wieder warm zu werden und darüber nachzudenken, wie sie ihren Charming Boy wieder einfangen und den Umarmungen der Industrie und der Demoskopen wieder entreißen könnte. Eine Liaison mit den freischaffenden Mehrheitsbeschaffern würde ihnen da überhaupt nicht in den Kram passen.
Die ihren nächsten – Wahlsieg so liebenden Christdemokraten können sich ihre vom Stammtisch noch feuchtfröhlichen Händen reiben. Sie haben die gesamte Linke mit ihrer Basisdemokratie aus heiterem Himmel kräftig aufgemischt. Und dass nun diese Basis, wie heute geschehen, in Guben anfängt, die ausländerfeindlichen Unterschriften mit dem Blut von Ausländern zu besiegeln, muss man wohl in Kauf nehmen, wenn es gilt, Deutschland vor Rotgrün zu retten. Asylbewerber aus Algerien sind die Späne, die nun mal fliegen, wenn in Deutschland die Konservativen hobeln.
Dass Politik buchstäblich Auswirkungen auf das Leben von Menschen hat, ist ärgerlich, und Politiker und Gazetten versuchen auch alles in ihrer Macht stehende, um die Politik dahin zurückzubringen, wo sie ihrer Meinung nach hingehört: in die Gerüchteküche. Und wenn die Herren Redakteure am Sonntag zusammensitzen, um die Schlagzeilen für Rosenmontag zusammen zu reimen, dann werden sie denken: Amerika, du hast es besser. Du hast einen Präsidenten, der sein Volk jahrelang mit seinen Zigarrengeschichten ganz alleine unterhalten kann – ohne auch nur ein einziges Mal Politik zu machen. Und, Amerika, du hast eine konservative Opposition, die ihr Volk lieber mit Seifenopern unterhält, als es mit schlauer List auf Ausländer zu hetzen.
So gesehen müssen die Ausländer in diesem Land wohl darauf hoffen, dass man Schröder baldmöglichst mit Westerwelle überrascht – und die CDU/CSU ihre Unterschriftenstände wieder einpacken kann. Denn in den Niederungen der Realpolitik züngelt schon wieder ein ganz anderes Schlangennest. – Solingen 13. Februar 1999