Gottes großer Multivitamintrunk
Da lese ich doch heute in der Morgenwelt, einem sehr empfehlenswerten Online-Magazin, dass Forscher der Columbia University zu der Ansicht gelangt sind, dass der Glaube keine nachweislich gesundheitsfördernde Wirkung habe. Priester und Nonnen würden nur deshalb länger leben, weil sie weniger rauchen und trinken, als der Durchschnitt der übrigen Bevölkerung. Und die Kirchgänger seien vielleicht nur deshalb überdurchschnittlich gesund, weil Kranke eben nicht in die Kirche gehen.
Ich möchte hier natürlich keinen Methodenstreit entfachen und bei einem so sensiblen Thema über Sinn oder Unsinn von Statistiken spekulieren. Aber es hat mich doch sehr überrascht, dass in Gottes eigenem Land die Atheisten mittlerweile sogar die Universitäten unterwandert haben und nun darangehen, dem Glauben von hinten den Dolchstoß zu verpassen. Denn es ist schon hundsgemein, in dem Land, in dem man selbst Strychnin gewinnbringend verkaufen könnte, wenn man es als gesundheitsfördernde Diät bewirbt, wenn man also im Mutterland der Wellness behauptet, der Glaube sei nicht gesund. Was sollen Bill Clinton und die Millionen Jogger und Walker und Skater und Bulimisten denken, wenn sie das lesen? Sie werden noch mehr joggen, walken, skaten und kotzen müssen, um gesund und schlank zu bleiben, da ihre Gebete nach wissenschaftlichem Ermessen nix mehr nützen.
Aber so weit ist es noch nicht gekommen. Mit Sicherheit wird die gesamte amerikanische Nation sich erheben und den Atheisten in der Columbia University zeigen, dass und wie ihr Glaube Berge von Forschungsgeldern versetzen kann. Und Munition liegt überall herum. Ich spreche hier wohlgemerkt im übertragenen Sinne von wissenschaftlicher Munition, nicht von den üblichen Stahlmantelgeschossen, mit denen religiös Erleuchtete für gewöhnlich das Licht von Abtreibungsärzten ausknipsen.
Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass der Glaube gesundheitsfördernd ist. Der Glaube hält jung. Davon kann man sich im Fernsehen mit eigenen Augen überzeugen. Oder hat der verehrte Leser unter den tiefreligiösen fröhlichen Leuten, die zur Manneszierde einen Dynamitgürtel umschnallen und sich in vollbesetzten Bussen im göttlichen Auftrag in die Luft sprengen, schon einmal einen tatterigen Greis gesehen? Auch die Anhänger der jüdischen Schas-Partei können ihr kindliches Gemüt nur schwer hinter ihren langen Bärten verstecken. Und in Algerien sind die Fundamentalisten sogar so gläubig, dass selbst ungläubige Schriftsteller dank des muslimischen Glaubensfluidums nicht mehr an Krebs oder Altersschwäche sterben müssen. Jugend, Gesundheit und Kraft drängt sich überall dort auf die Straßen, wo die Menschen täglich einen kräftigen Schluck aus Gottes großem Pokal, dem überfließenden Gesundheits-Born nehmen und damit die schalen Reste ihres vernünftelnden Verstandes hinunterspülen.
Die Beweise für eine gesundheitsfördernde Kraft des Glaubens müssten also jedem Wissenschaftler sofort ins Auge springen, so dass die These der gottlosen Columbianer sicher nicht lange bestehen wird.
Nur unser Papst macht einen recht kranken Eindruck. Aber was beweist das schon? Es lässt sich eben nicht verbergen, dass es mit dem Katholizismus in Polen nach dem Untergang des Kommunismus nicht mehr weit her ist. – Solingen 20. Februar 1999