Die Jungen Wilden
Nun hat die SPD endlich auch ihre Jungen Wilden. Wofür die CDU 16 Jahre brauchte, schaffte die SPD in 116 Tagen: Kritik am Kanzler aus den eigenen Reihen. Im statistischen Mittel ist der Junge Wilde der SPD 29,8 Jahre alt; sie sind also ein paar Jährchen jünger als die Jungtürken der CDU, was vielleicht erklärt, warum sie ungeduldiger sind und keine 16 Jahre warteten.
Die Jungen Wilden der SPD heißen Hans-Peter Bartels (37), Hubertus Heil (26), Michael Roth (28), Carsten Schneider (23) und Karsten Schönfeld (35). In einem Brief an Gerhard Schröder und ihre Fraktionskollegen kritisieren sie das Koalitionsmanagement: die gegenwärtigen Probleme seien ›handwerklicher und politischer‹ Natur. Zwar sei es verständlich, dass das Projekt ›Doppelte Staatsbürgerschaft‹, das von zwei Dritteln der Bevölkerung skeptisch betrachtet würde, zu Stimmenverlusten führe. Dass aber der von drei Vierteln der Bevölkerung gewünschte Atomausstieg ebenfalls in Stimmenverlusten ende, zeuge von einem nicht professionellen Koalitionsmanagement. Wer weiß, vielleicht fällt der Brief ja auf fruchtbaren Boden, und es werden sich im neuen Kanzlerwahlverein einige SPD-Abgeordnete daran erinnern, dass sie vor der Nominierung von Gerhard Schröder zum Kanzlerkandidaten mal eine Partei gewesen sind.
Aber es gibt noch mehr Junge Wilde in unserer Republik, die überhaupt durch den Regierungswechsel durch und durch verjüngt erscheint. Für einige war der Schluck aus dem Jungbrunnen des Machtwechsels aber wohl doch zu starker Tobak, denn mit geradezu infantilen Wutausbrüchen reagiert die vom Abschreibungsliberalismus der FDP so gehätschelte Steuersparbranche auf die neuesten Steuerpläne. Da ist vom Overkill für die Immobilienbranche die Rede, weil man in Zukunft nicht mehr so verlustzuweisungsgeil wie bisher am Markt vorbei bauen kann. Da drohen Versicherungs- und Energiekonzerne auszuwandern, weil man ihre Rücklagen, mit denen sie Jahrzehnte einer globalen Rezession überwintern könnten, nun auch mal besteuern möchte.
Es kann nicht mehr lange dauern, dann erinnern sich die Unterzeichner der ›Initiative für Deutschland‹ an ihre Studentenzeit, die sie in Burschenschaften versoffen haben, während draußen vor dem RCDS-Hauptquartier das Leben, Ho, Ho, Ho Chi Min rufend, vorbeimarschierte, malen Transparente und ziehen im Nadelstreifenanzug durchs Regierungsviertel.
Ich sehe schon wie die unauffällig gekleideten Bodyguards der Vorstände Pflastersteine auf die Polizisten werfen, die ihre Chefs gerade einkesseln und zur Aufnahme der Personalien mit Plastikhandschellen gefesselt abführen.
Man fragt sich wirklich, aus welchem Sack die Flöhe gesprungen kommen, die im Moment diesen Zirkus im Lande veranstalten. Es muss der Sack gewesen sein, den Helmut Kohl gehütet hat, indem er auf ihm saß.
Und inmitten der rituellen Kriegstänze der Jungen Wilden sitzt einer ruhig wie Genschman im Flugzeug und macht seinen Job: Joschka Fischer. Kein Wunder, der ist ja auch auswärtig. – Solingen 2. März 1999