Rumpeldipumpel! Kommission weg!
Der Gelehrte, der die Kulturgeschichte des Rücktritts schreiben wird, muss den Iden des März 1999 ein besonderes Kapitel widmen. Denn als hätte sich kurz vor der Jahrtausendwende ein Politiker verschlingendes Bermuda-Dreieck aufgetan, häufen sich auf bedenkliche Weise die Rücktritte. Letzte Woche titelte BILD noch: ›Rumms! Oskar weg!‹ Doch schon am Montag haben wir die Steigerung davon erlebt: Rumpeldipumpel! Kommission weg! Einmalig und sensationell sind beide Rücktritte, doch es gibt natürlich auch große Unterschiede. Zunächst einmal beweist der Rücktritt der EU-Kommission, dass, auch wenn es in Brüssel lautstark poltert, die Kommissare politische Fliegengewichte sind. Denn die Börsen der Welt zuckten noch nicht einmal an der vierten Stelle hinter dem Komma, als sie vom Rücktritt der Euro-Regierung erfuhren. Die Demission Lafontaines dagegen hat der Wall Street endlich den Sprung über 10000er Marke ermöglicht. Der zweite wichtige Unterschied ist grundsätzlicher Natur. Lafontaine ist freiwillig und aus eigenen Stücken zurückgetreten. Um die französische EU-Kommissarin, Mme. Cresson, zum Rücktritt zu bewegen, musste aus Gründen der nationalen Ehre gleich die ganze Kommission geschlossen zurücktreten. Mme. Cresson, die auch noch so aussieht, wie sie im Bericht der Weisen beschrieben wird, kommt nämlich aus der großen Nation, die, wäre sie nicht so sprachbewusst, den deutschen Begriff ›Extrawurst‹ ins Französische einbürgern würde. Für ›Vettern- oder Günstlingswirtschaft‹ (ein Begriff, bei dem man gleich an Praktikanten in der EU-Kommission denkt) oder für den Begriff ›Seilschaft‹ gibt es kein entsprechendes französisches Wort, vielleicht weil es in Frankreich keinen Sinn macht, zwischen der Administration auf der einen und der Vetternwirtschaft auf der anderen Seite einen Unterschied zu machen. Mme. Cresson ist nun also zurückgetreten. Das ist gut so. Dass über das bodenbedeckende gallische Gartengewächs nun aber auch durchaus fähige Kommissare stolpern mussten, ist bedauerlich, gibt uns aber auch die Chance, im europäischen Stall einmal so richtig auszumisten, zumal man sogar der deutschen Kommissarin Wulf-Matthies altruistisches Handeln für den Nächsten zutraut. Und da gibt es eigentlich nur einen Herakles, der dafür geeignet ist und wertvolle Erfahrung mit widerspenstigen Amtsschimmeln sammeln konnte: Wolfgang Clement, der Ministerpräsident von NordrheinWestfalen. – Doch halt! Sein Justizminister ist ja unangefochtener Rekordhalter im blitzschnellen Rücktritt. Ein Rekord im Zukurzspringen, der wie der von Bob Beamon im Weitsprung sicherlich einige Jahre Bestand haben wird.
Ach hätte Oskar mit seiner Flucht ins Privatleben doch noch ein paar Tage gewartet! Jetzt sind die ruhigen, familienfreundlichen Posten bei der EU im Dutzend zu haben.
Ach ja und noch eine trat zurück, nämlich von ihrem Ehemann: unsere ehemalige Familienministerin Nolte. Seitdem sie ohne Job zu Hause rumsitzt…– Solingen 17. März 1999