Ostallergie – die unglaubliche Krankengeschichte eines Wessis
Gestern erhielt ich dieses erschütternde Selbstzeugnis eines Menschen, der an einer bisher noch kaum erforschten Krankheit leidet. Sein Fall hat mich so betroffen gemacht, dass ich mir einen Auszug aus seiner E-Mail hier nicht verkneifen kann.
Denk ich an Deutschland in der Nacht…
Es fing wie bei jeder Allergie zunächst ganz harmlos an: Augenjucken, triefende Nase, gerötete Haut und Juckreiz. Doch dann wurden die Beschwerden immer schlimmer: Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, anaphylaktischer Schock. Die Ärzte waren natürlich ratlos, sie verschrieben mir Kortison und Antihistamine, doch es half alles nichts. Meine Heilpraktikerin versuchte die Symptome mit Akupunktur, Räucherstäbchen und einer umfangreichen Darmsanierung in den Griff zu bekommen. Doch diesmal war nicht Heliobakter pylori der Übeltäter. Also irrte ich weiter von Arzt zu Arzt. Ich ließ zahllose Tests über mich ergehen: Pollen, Hausstaub, tierisches Eiweiß – alles wurde ausgetestet. Doch die Ergebnisse waren gleich Null.
Erst als ich mich für ein halbes Jahr in einer Spezialklinik in den USA aufhielt, erkannte ich plötzlich die Ursache für meine Beschwerden. Ich litt an einer schweren Ostallergie. Sie werden sich fragen, wie ich zu dieser Selbstdiagnose gekommen bin. Ganz einfach: In den USA hörte und sah ich ein halbes Jahr nichts von meinen Brüdern und Schwestern in den neuen Bundesländern: keine Meldungen über Ausländerhass, Rechtsradikalismus, PDS-Wahlerfolge, Neonaziaufmärsche und Stasi-Spitzel, kein Ostgejammere, keine DDR-Nostalgie, keine Wessi-Schelte, keine Plattenbauten und in keinem US-Supermarkt Gurken aus dem Spreewald und Rotkäppchensekt. Die Symptome verschwanden sofort. Ich glaubte, geheilt zu sein. Doch kaum war ich zurück in Deutschland, begann alles von vorn. Jeder Zweifel war damit ausgeschlossen. Ich reagierte allergisch auf alles Ostdeutsche!
Ich beantragte bei der Krankenkasse eine lebenslange Kur in der Südsee, doch die Kasse hat abgelehnt. Sie behaupteten, ich sei Simulant, meine Krankheit gäbe es doch gar nicht. Der Brief endete sogar mit dem zynischen Hinweis, mich bei Prof. Ostmann in der Magdeburger Uniklinik, einem international anerkannten Spezialisten für Allergien und Autoimmunerkrankungen, untersuchen zu lassen.
Ich wurde immer verzweifelter. Um nicht mit den Allergenen in Berührung zu kommen, schaffte ich Radio und Fernsehen ab und warf die Zeitung ungelesen in den Mülleimer. Das half ein wenig. Doch jedesmal, wenn die Lohnabrechnung kam und ich die Eintragung ›Solidaritätszuschlag‹ las, musste ich mehrere Tage krankfeiern, was dem Chef natürlich auffiel und schließlich zu meiner Entlassung führte. Auf dem Arbeitsamt war es aber noch schlimmer, dort schimpften die anderen Arbeitslosen immer wieder über das Geld, was nach drüben fließt, so dass ich heute auch einen Bogen um das Arbeitsamt mache. Ein Geistlicher bot mir an, mich zu exorzieren, doch ich entschied mich dann doch für eine Psychotherapie. Ein Fehler, wie sich schnell herausstellte, denn kaum hatte ich angefangen, um das Thema herum zu reden, da stellten sich auch schon die ersten Symptome ein. Über den Satz ›alles begann am 9. November 1989‹ kam ich fast nie hinaus, der Therapeut musste mehrmals den Notarzt rufen.
Ich geriet in die Fänge eines Wunderheilers, der zwar mein Konto erleichterte, mir aber keine Linderung verschaffen konnte. Völlig verarmt und den Krankheitsschüben hilflos ausgesetzt, verfiel ich auf eine verzweifelte Idee. Ich beschloss, eine Bank auszurauben und mit dem Geld ein für alle Mal abzuhauen: weit weg von Deutschland, das mich krankmachte.
Ich besorgte mir also eine Spielzeugpistole, einen Nylonstrumpf, eine Plastiktüte von Aldi und stürmte in die nächstbeste Bank. Zu meinem Unglück war es eine Filiale der Dresdner Bank. Als ich meinen Irrtum bemerkte, war es schon zu spät. Ich stand mitten in der Schalterhalle mit dem Nylonstrumpf über dem Kopf, unterdrückte einen Allergieanfall und schrie: »Das ist ein Überfall!« Dann reichte ich dem Kassierer die Plastiktüte und hustete ihn an: »Alles Geld! Hier rein! Sofort!« Und da sagte der Kassierer in genuscheltem Sächsisch: »Nojoo, geht kloor!«
Der arme Mensch, der mir dies schrieb, brach in der Bank zusammen. Die Ärzte kämpften stundenlang um sein Leben. Nachdem er einige Wochen auf der Isolierstation lag, konnte er vernommen werden. Natürlich glaubte ihm niemand. Doch da er nicht vorbestraft war, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Sein Anwalt konnte eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik gerade noch verhindern.
Irgendwie bekam dieser Prof. Ostmann aus Magdeburg Wind von der Geschichte, die seinen Forscherehrgeiz herausforderte. Er entwickelte eigens für unseren armen Kranken eine ausgeklügelte Therapie und nannte sie magdeburgische Ludovico-Desensibilisierungsmethode. Täglich wird der Patient für 30 Minuten den wichtigsten Allergenen ausgesetzt: gewaltbereiten Jugendlichen, arbeitslosen Frührentnern, PDS- und DVU-Wählern und ehemaligen IMs. Anschließend zeigt man ihm Bilder von der intakten Mauer, um sein Nervenkostüm zu beruhigen. Und die restliche Zeit des Tages verbringt er mit Asylbewerbern aus Afrika, die sich in dem Institut des Professors vor den Magdeburger Jugendlichen verstecken. Professor Ostmann sagte mir am Telefon, dass die Therapie anschlüge. Der Patient entwickle erste Ansätze von Nationalstolz und Ausländerhass. Vor einigen Tagen habe er sogar zu einem Afrikaner ›Du blöder Affe‹ gesagt. In spätestens zwei Monaten könne der Patient entlassen werden und sich beschwerdefrei in jeder ostdeutschen Plattenbausiedlung an der Jagd auf Ausländer beteiligen.
Ich gratulierte dem Professor zu seinem Erfolg. Ein großartiger Mensch. Er, der Ossi, hilft dem völlig verarmten Wessi ohne ein Honorar zu berechnen aus purer Nächstenliebe. Wenn das nicht verdammt anständig ist! – Solingen 19. März 1999