Über Friedensengel und Vermittler

Edmund Stoiber, die Antwort der CDU/CSU auf die Kanzlerkandidatenkandidaten der SPD, genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, als er nach Moskau fuhr, um dort – ja was nur – zu tun? Die Russen einbinden, heißt es seit einigen Tagen, sei unverzichtbar, um den Krieg im Kosovo zu beenden und die Serben zum Einlenken zu bewegen. Was man in den Sondersendungen des Fernsehens allerdings nicht hört, ist, dass Einbinden auch Festbinden bedeuten kann. Wollte Stoiber erkunden, wie man die Russen am besten fesseln kann? Wie dem auch sei, Stoiber hatte seinen Auftritt, und die Aufmerksamkeit der Medien richtete sich schnell auf einen anderen: auf Gregor Gysi.

Der ging einen ganzen Schritt weiter, nämlich nur bis Belgrad. Friedensengel ist sicherlich eine schöne Berufung, besonders wenn einem diese Berufung so leicht von der Hand geht wie Gregor Gysi, der nach einem erholsamen Urlaub braungebrannt einen Abstecher nach Belgrad machte, um Milosevic die Hand zu schütteln, sich eine zerstörte Fabrik in Belgrad zeigen zu lassen und die Nato zu kritisieren.

Dafür wurde er gestern im Bundestag, hauptsächlich von SPD und Grünen getadelt. Die Abgeordneten von CDU/CSU lehnten sich derweil genüsslich grinsend zurück und betrachteten mit Wohlgefallen den Kampf der drei Parteien um linke pazifistische Stimmen. Nun wäre es um den deutschen Pazifismus schlecht bestellt, wenn er nur noch in der PDS eine Heimstatt fände. Doch so weit sind wir noch nicht, im Gegenteil: mir scheint der Pazifismus als generelle Leitlinie für eine humane Politik bei einem nachdenklichen und mit vielen Skrupeln kämpfenden Joschka Fischer besser aufgehoben als bei der aalglatten, zynischen Behändigkeit eines Gregor Gysis. Auf Stoiber komme ich noch zurück.

Die Außenpolitik, so eine alte Historikerweisheit, untersteht dem Primat der Innenpolitik. Auf Gysis Außenpolitik trifft dieser Satz sicherlich zu, denn er dürfte die Umfragen kennen, in denen die Ostdeutschen den Nato-Einsatz wesentlich kritischer sehen, als die Westdeutschen. Insofern untersteht Gysis Außenpolitik zwar nicht dem Primat der Innenpolitik, sondern nur dem Primat der Regionalpolitik Ost, aber Gysi ist ja auch bloß der selbsternannte Anwalt der besseren Deutschen, die jahrzehntelang in Reih’ und Glied marschierend gegen die bösen, faschistischen Kriegstreiber der Nato ihre Fähnchen geschwungen haben und sich bloß in einem Augenblick kollektiver Umnebelung der D-Mark ergeben haben. Auf Stoiber komme ich noch zurück.

Und zwar jetzt. Warum ist gerade Stoiber nach Russland gefahren? Um zu vermitteln? Nun, ein Vermittler sollte sich zumindest teilweise in den Gedankenwelten der streitenden Parteien zurechtfinden. Und um Milosevic zu verstehen, darf man kein radikaler Anti-Rassist sein. Man muss wenigstens eine Ahnung davon haben, dass eine Portion Rassismus mit einer Prise Menschenrechtsverletzungen zur Staatsräson gehören könnte. Und da ist Stoiber natürlich geeigneter als andere Landesfürsten in Deutschland. Denn in den Datenbanken und Archiven der Bayerischen Polizeibehörden existiert immer noch die einem Balkanstaat würdige Sondererfassung der Sinti und Roma als ›Roma/Sinti-Typ‹ oder ›Zigeunertyp‹ oder in guter alter Nazitradition als ›Landfahrer‹. Gerechtfertigt wird diese Sondererfassung, so die bayrische Polizei, als ›vorbeugende Verbrechensbekämpfung‹, denn Sinti und Roma ›könnten eine öffentliche Gefahr‹ sein.

Gerade heute ist in einigen deutschen Zeitungen ein Appell erschienen (›Gegen rassistische Datenbanken über Sinti und Roma in Bayern‹), der den Bayrischen Ministerpräsidenten dazu auffordert, diese diskriminierende Praxis aufzugeben. Zu den Unterzeichnern gehören viele Schriftsteller. Es fehlt die Unterschrift Peter Handkes. Vielleicht hat man ihn nicht gefragt. Und es fehlt die Unterschrift von Martin Walser, ganz oben steht die von Ignatz Bubis. Soviel zum Thema Einmütigkeit.

Da wir Zivilisten zurzeit nicht viel für die Menschenrechte im Kosovo und in Serbien tun können, sollten wir vielleicht ein wenig vor der eigenen, in diesem Falle bayrischen Haustür kehren und diesen Aufruf unterstützen. Eine Heimat im Internet hat der Appell scheinbar nicht. Aber die E-Elite dieses Landes, die neuen Nomaden, können die alten Nomaden ja durch eine E-Mail an Edmund Stoiber unterstützen. Das geht kurz und schmerzlos, und man muss dabei noch nicht einmal Milosevic die Hand schütteln. – Solingen 16. April 1999