Von Mauerseglern und anderen Überfliegern
Gestern am 2. Mai, pünktlich wie im letzten Jahr, sind bei uns die ersten Mauersegler (Apus apus) eingetroffen. Diese fliegenden Akrobaten scheinen ihr ganzes Leben in den Lüften zu verbringen. Essen, Schlafen und Nachwuchs zeugen: alles vollbringen die Mauersegler in Steil-, Über- oder Sturzflug. Einen Sommer lang wird ihr Geschrei nun wieder den Himmel über uns erfüllen. Und mit ihren flinken Flugkünsten zeigen sie uns plumpen Menschen mal wieder unsere Grenzen auf.
Ob Mauersegler eine ebenso weite Reise hinter sich haben, wie Schwalben, die von Südafrika kommend rund 10.000 Kilometer bis zu uns zurückgelegt haben, weiß ich nicht. Da es aber bei uns nur wenige Schwalben gibt, sind für mich die Mauersegler die Herren der Lüfte. Seit Tagen schon ahnte man, dass sie bald eintreffen müssten: Schwärme von Insekten tanzten bereits in der Luft und warteten nur darauf von den pfeilschnellen Mauerseglern gekeschert zu werden.
Mauersegler sind schnell. Wenn sie jagen, erreichen sie Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h, und fliegen sie in Formation, so als ob sie sich gegenseitig jagten, erreichen sie sogar Spitzengeschwindigkeiten von 140 bis 200 km/h. Mauersegler verbrauchen viel Energie, wie die Kolibris, mit denen sie verwandt sein sollen. Dennoch ist ihr Energieverbrauch im Vergleich zu dem, was der Mensch benötigt, um sich in die Lüfte zu erheben, minimal.
Würde ein Mauersegler fürs Fliegen relativ gesehen die gleiche Energiemenge benötigen wie ein Tornado der Bundeswehr, so müsste der kleine Vogel statt winziger Insekten, Tiere in der Größenordnung einer Kuh verschlingen. Ein Kalorienbedarf, der nur zu decken wäre, wenn ein Mauersegler an einem Tag die gesamte Jahres-Rinderproduktion der westfälischen Großmästereien vertilgen könnte.
Manchmal scheint es mir, als ob sie eitel wären, die Mauersegler. Besonders wenn sie in marodierenden Gruppen lauthals schreiend um unser Haus herumstürzen, dass es mir auf dem Balkon im Dachgeschoss ganz schwindelig wird, dann frage ich mich schon, ob sie dabei nur Spaß haben oder uns Menschen auch verspotten wollen. Natürlich gibt es unter ihnen auch Aufschneider, die besonders waghalsige Flugmanöver veranstalten. Aber so eitel wie Jesse Jackson, der dem Diktator in Belgrad die gefangenen amerikanischen Soldaten im Alleingang entriss, sind sie bestimmt nicht.
Wäre Jesse Jackson ein Weißer, wäre dieser Überflieger der Eigen-PR bestimmt schon Präsident der Vereinigten Staaten. Vielleicht ist es aber auch so, dass selbst schwarzen Amerikanern schlecht wurde, als sie sahen, dass die drei befreiten US-Soldaten neben Jackson kaum noch ins traditionelle Fernsehbild passten. Das neue 16:9-Fernsehformat scheint jedenfalls insbesondere für Politiker wie Jesse Jackson entwickelt worden zu sein.
Und so eitel wie Guido Westerwelle, der neuerdings freiwillig kleine Brötchen bäckt, sind unsere Mauersegler bestimmt auch nicht. Wäre Westerwelle ein Selbstdarsteller vom Format eines Möllemanns, so hätte er nicht für 630 Mark im Monat in einer Bonner Bäckerei Brötchen verkauft, sondern wäre mit einem ganzen Sack voller Brot aus einem Bundeswehr-Tornado über Albanien mit dem Fallschirm abgesprungen, um die Flüchtlinge und die Medien mit Schnellverdaulichem zu speisen.
Die Nahrung der Mauersegler ist dagegen überhaupt nicht leicht verdaulich, denn vor das nahrhafte Eiweiß hat die Natur den bitteren Chitin-Panzer der Insekten gestellt.
Gut, dass die Mauersegler wieder da sind. Man kann sich endlich auf den Balkon setzen und den schwirrenden Luftakrobaten bei ihrem allabendlichen Flugspektakel zuschauen, während das Fernsehen mit seiner täglichen Waffenschau aus bleibt. Ein echtes Vergnügen. Wenn auch kein ungetrübtes. – Solingen 3. Mai 1999