Yan Ulrich Asecke? Niemals! Nieder mit der Rechtschreibreform!
Ich muss ein Mensch mit geringem ästhetischen Verständnis sein, denn bisher habe ich mir über die Schönheit, die Harmonie und die Grazie der Rechtschreibreform noch keine Gedanken gemacht. Dies ist ein schweres Versäumnis, wie mir heute schlagartig beim Anblick der Titelseite der WELT bewusst wurde. Dieses Sprachrohr des gemeinen Menschenverstandes listet ganz oben direkt unter der fallenden Kurve des Xetra-DAX, dessen grafische Schönheit mittlerweile überall, in Tageszeitungen, Illustrierten, im Fernsehen und auf Webseiten wirtschaftliche Kompetenz suggerieren soll – also dort oben veröffentlichte die WELT eine Liste der hässlichsten Wörter im Neudeutsch. Die WELT schreibt hässlich natürlich noch mit ›ß‹, denn die hässliche, neudeutsche Rechtschreibung gilt ja erst ab übermorgen.
Platz 1 besetzt das Wort ›Majonäse‹, was mich tief getroffen hat. Natürlich versteht sogar ein Mensch ohne Sinn für Schönheit und gefällige Proportionen, dass ein ›ai‹ wesentlich weltläufiger und eleganter wirkt, als das plump deutsche ›ä‹. Und nur kulinarische Ignoranten können behaupten, dass des Deutschen Lieblingsbeilage zu Pommes frites auch nichts anderes verdient. Doch ich möchte hier nicht im Detail auf die Rolle der Majonäse in der Nouvelle Cuisine eingehen, denn das ist völlig nebensächlich. Wirklich erschüttert musste ich zur Kenntnis nehmen, dass das ›j‹ bei feinsinnigen Seelen anscheinend den höchsten Grad von interesselosem Missfallen verursacht. In Zukunft werde ich mich wohl oder übel Yan nennen müssen, um in unserer ästhetizistischen Öffentlichkeit bestehen zu können.
Platz 2 belegt das Wort Missstand, wodurch ich jedoch sofort misstrauisch wurde: Behauptet dieses Wort nun aus typographischen Gründen Platz 2, oder liegt der Grund dafür vielmehr in der Tatsache, dass WELT-Redakteure häufig nicht bis drei zählen können?
Auf eben diesem Platz 3 liegt, steht oder arbeitet das Nessessär, dessen Sinn, Zweck und Funktion mir auch in dieser Schreibweise nicht verständlicher wird. Immerhin wurde mir klar, dass die WELT ganz offensichtlich nach dem Grundsatz ›form follows function‹ urteilt, denn in der alten Schreibweise, als ›Necessaire‹, wird die geheimnisvolle Funktion dieses Dings viel treffender zum Ausdruck gebracht.
Auf Platz acht, nach ›Balletttänzer‹, ›Fassette‹, ›Gämse‹ und ›Glimmstängel‹, fand ich das Wort ›Jogurt‹ und konnte hier den Sprachschützern der WELT aus übervollem Herzen zustimmen. Wie würde mein Name verunstaltet, wenn das ›H‹ plötzlich wegfiele? Ich werde einen Leserbrief schreiben und fordern, dass die besonders hässlichen Worte ›Katarr‹, ›Tunfisch‹ ›Rauheit‹ und ›Asecke‹ ganz nach oben gehören.
Einen Platz unter den ersten zehn hässlichsten deutschen Wörtern knapp verfehlt hat ›Nofuturegeneration‹; wahrscheinlich, weil man dieses Wort immer noch nicht so schreibt, wie man es spricht. Dass man beim Anbringen von Nummern nummeriert und nicht numeriert reichte gerade noch für Platz 12 und dass wir ›Tipp‹ sagen und nicht ›Tiep‹ und daher Tipp mit zwei p und nicht mit einem schreiben sollen, rechtfertigt für die Sprachkonservatoren bloß noch eine ›Platzierung‹ ohne ›tz‹ dafür aber unter ›ferner liefen‹.
Die Schönheit, das wissen wir seit Schiller, ist der einzige Garant für Frieden, Freiheit, Demokratie und Wirtschaftswachstum, so dass nicht nur die von der Schönheit so besessenen Redakteure der WELT tristen Zeiten entgegen gehen, wenn übermorgen die schöne deutsche Sprache auf ewig verunstaltet wird. Wir alle werden in Zukunft mit ärgerlicher Miene besonders hässliche Worte im Duden nachschlagen, um uns davon zu überzeugen, dass die Schönheit der Sprache bloß noch zwischen Nord- und Ostsee eine Heimstätte haben wird. Denn, so die Titelmeldung der WELT, das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag eines Vaters aus Schleswig-Holstein zurückgewiesen, der gefordert hat, dass seine Kinder entgegen Volkes Wille nach der neuen Rechtschreibung unterrichtet werden sollen. – Überraschend, dass es unter Volljuristen doch noch so viele Schöngeister gibt. – Solingen 30. Juli 1999