Intrigen im Bayern-Kreml
Wenn Boris Jelzin seinen fünften, sechsten oder siebten Ministerpräsidenten kurzerhand entlässt, geht dieser zumeist ohne groß zu murren in die Wüste. Und wenn der Kremlfürst wegen seiner guten Beziehungen zur russischen Finanzaristokratie in die Bredouille kommt, versprechen ihm diejenigen, die irgendwann ebenfalls gute Beziehungen zu diesen Herrschaften pflegen wollen, eine lebenslange Amnestie, noch bevor er überhaupt von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden ist.
Von so viel konstruktiver Kritik kann ein demokratisch gewählter bundesdeutscher Landesfürst nur träumen; selbst dann, wenn er Edmund Stoiber heißt und mit seiner CSU das Land der Bayern und Franken in ununterbrochener politischer Erbfolge seit Menschengedenken beherrscht.
Natürlich ist es auch in Bayern nicht das Volk, das die Amigos zum Teufel jagt, sondern die eigenen Kamarilla. Aber mit Hilfe der transbajuwarischen Medien erwecken diese Diadochenkämpfe immer wieder den Anschein einer funktionierenden Demokratie.
Wirkliche Demokratie aber, so lehrt uns Schäuble in seiner Ansprache zum 50jährigen Bestehen des deutschen Bundestages, findet als politischer Wettbewerb im Parlament statt. Da jedoch weit und breit kein europäischer Wettbewerbskommissar in Sicht ist, der für einen fairen Wettbewerb im bayrischen Landtag sorgt, haben wir es dort eher mit einem aus neoliberaler Sicht nicht wünschenswerten Monopol zu tun.
Höfische Kulturen neigen zur Perfektionierung der Intrige. Und so gibt Sauter seinem Ministerpräsidenten auch borstige Widerworte, denn als Mitglied der inneren Zirkel und lupenreiner CSU-Aristokrat fühlt er sich ebenso berechtigt in die Fußstapfen von Franz Josef dem Großen zu treten wie Stoiber.
So kann es nicht verwundern, dass er sich als legitimer Thronanwärter dagegen wehrt, als Aufsichtsratsvorsitzender der LWS die Verantwortung für das wirtschaftliche Desaster im Wilden Osten zu übernehmen. Schließlich, so verteidigt er sich, habe er als Aufsichtsratsvorsitzender nach dem Gesellschaftervertrag der für die LWS seit 1994 zuständigen Landesanstalt für Aufbaufinanzierung überhaupt keine Kontrollrechte gehabt.
Um den LWS-Skandal also in seinem Wesenskern verstehen zu können, muss man sich von überkommenen Vorstellungen, die Aufgaben eines Aufsichtsrats betreffend, lösen. Stattdessen sollte man sich mit der Geschichte Russlands und der Sowjetunion beschäftigen. Nur dann durchschaut man die Intrigen im Kreml der Bayern. – Solingen 8. September 1999