Größte Fusion aller Zeiten fast perfekt?
Bisher waren Fusionen allein eine Angelegenheit der Wirtschaft. Banken, Automobilkonzerne, Softwarefirmen, Telekommunikationsunternehmen kauften einander mit dem Geld auf, das sie durch die Entlassung ihrer halben Belegschaft glaubten, einsparen zu können. Breit lächelnd und ausgiebig einander die Hände schüttelnd lassen sich die Vorstandsvorsitzenden von laufenden Kameras und Bewunderung stotternden Journalisten als die Größten und Mächtigsten feiern. Ob unfreundliche Übernahme, Joint Venture, strategische Partnerschaft oder Aktientausch-Fusion – auf stagnierenden Märkten wird nur noch Monopoly gespielt.
Da ist es kein Wunder, dass nun auch zwei alteingesessene Traditionsunternehmen, jeder ein Global Player für sich, nach mehr als 450 Jahren harter Konkurrenz eine Vereinbarung unterschrieben haben, innerhalb der nächsten 450 Jahre ernsthaft Fusionsverhandlungen aufnehmen zu wollen. Die Rede ist von der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche, die heute am Reformationstag in Augsburg eine Erklärung unterzeichneten, in der sie sich in ihrem eigentlichen Kerngeschäft der Erlösungstechnologie zu einer strategischen Partnerschaft verpflichteten.
Hintergrund dieser Erklärung zur ›Einheit in versöhnter Verschiedenheit‹ ist, wie könnte es heutzutage auch anders sein, die Globalisierung. Billige Konkurrenz aus Asien, Lateinamerika und Afrika macht der einheimischen Erlösungswirtschaft das Leben schwer. Religiöse Wahnvorstellungen aus den entlegensten Erdteilen gelangen ungehindert durch den deutschen Zoll auf unsere Märkte und faszinieren ein immer noch erlösungsbedürftiges Publikum.
Neben dem internationalen Skurrilitätenkabinett aus Tai Chi, Voodoo und indianischem Matriarchat machte sich der Rechtfertigungsstreit der beiden großen christlichen Konfessionen recht sauertöpfisch aus. Während das eine Unternehmen, welches in Italien, der Heimat der Schutzgeldwirtschaft, beheimatet ist, mit der ganzen Weltläufigkeit einer 2000 Jahre alten kriminellen Vereinigung davon ausging, dass der oberste Pate im Himmel durch kleine Geschenke zu erweichen ist, nahm sich das deutsche Unternehmen bei seinem Gottesbild den typisch deutschen Beamten zum Vorbild, von dessen bekanntlich unbestechlicher Gnade wir allein abhängen.
Seit fast fünfhundert Jahren bekriegen sich die beiden wie Coca Cola und Pepsi oder Mac Donalds und Burger King. Nun aber, nachdem sich ihre Kirchen leeren wie die DDR im Jahre 1989, denkt man über eine Fusion nach. Die Federführung bei den Fusionsverhandlungen scheint das deutsche Unternehmen übernommen zu haben, denn in der gemeinsamen Erklärung heißt es: »Gemeinsam bekennen wir: Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen.« Da grinst er uns triumphierend an, der mustergültige deutsche Beamte und zieht drohend die Augenbrauen hoch, wenn wir ihm einen Fünfzigmarkschein über den Schreibtisch zuschieben wollen.
Doch als hätten wir es mit einem rotgrünen Koalitionsvertrag zu tun, ließ das Dementi nicht lange auf sich warten. Der polnische Stellvertreter des in größter Verborgenheit lebenden Paten ließ in Rom sogleich verkünden, dass es anlässlich des Millenniums wieder ein Mal einen Ablass geben werde. Doch diese Muskelspielchen sollten uns nicht irritieren, schließlich würde auch Coca Cola nach einer unfreundlichen Übernahme durch Pepsi Stein und Bein schwören, dass in der neuen Einheitsbrause das gleiche Geheimrezept prickle wie eh und je.
Im Interesse der Kunden ist es auf jeden Fall zu begrüßen, dass sich die beiden Erlösungsunternehmen auf gemeinsame Standards und Qualitätsmaßstäbe verständigen und inkompatible proprietäre Lösungen vielleicht schon in ein oder zwei Jahrhunderten der Vergangenheit angehören werden.
Leider gibt es für religiöse Aktien bisher keinen Index, so dass wir nicht nachprüfen können, ob sich der Shareholder Value nun verbessert oder verschlechtert. Angesichts der mobilen und immobilen Vermögenswerte beider Kirchen dürfte jedoch allein die Spekulation auf eine Übernahme innerhalb des nächsten Jahrtausends auf die Börse wie intravenös gespritztes Viagra wirken.
Wann, wo, wie und ob überhaupt die Hauptversammlungen der beiden Kirchen der geplanten Fusion zustimmen werden, ist bisher noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Bisher weiß noch niemand, wer überhaupt als Anteilseigner in der Hauptversammlung sitzt. Gott? Der Papst? Martin Luther? Die italienische Mafia? Oder der deutsche Beamtenbund? – Solingen 31. Oktober 1999