Mantras gegen den Aufzug von Verdunklungsgefahr
Da das Sudelbuch auch einige Leser im Ausland hat, sehe ich es als meine staatsbürgerliche Pflicht an, zu verhindern, dass das Ansehen meines Landes ohne triftigen Grund besudelt wird. Diese Pflicht fällt mir zwar seit einigen Wochen schwer, aber ich gehe ihr trotzdem mit großer Gerissenheit nach.
So mancher Leser im Ausland, der mit den juristischen Gepflogenheiten in Deutschland nicht vertraut ist, wird sich vielleicht wundern, warum wir so überaus schonend mit Leuten wie Kohl und Kanther umgehen. Immerhin hat Kohl zugegeben, Millionen von Leuten angenommen zu haben, deren Namen er nicht nennen kann; ein Verhalten, das die Polizei von Drogendealern, die sich vor ihren Hintermännern fürchten, zur Genüge kennt. Und Kanther hat gezeigt, dass er die Methoden des organisierten Verbrechens zur Geldwäsche schon zu einer Zeit virtuos beherrschte, als andere noch gar nicht wussten, dass die Mafia auch in Deutschland tätig ist. Zum Verhängnis wurde Kanther auch nur sein Übermut, der ihn dazu verleitete, das aus der Schweiz wieder zurückfließende Geld als Erbschaft jüdischer CDU-Sympathisanten auszugeben. Das glaubte außerhalb der CDU niemand. Wo mag ihm diese Idee nur gekommen sein? Auf einem Treffen alter Kameraden seines Ziehvaters Dregger?
Trotzdem sind Kohl und Kanther noch freie Männer. Warum? Nun das ist ganz einfach. Es ist die Kraft des Gebets. Die CDU betet seit Wochen auf den medialen Marktplätzen der Republik das Mantra der »rückhaltlosen Aufklärung«, um das Heraufziehen der Verdunklungsgefahr zu verhindern. Zöge diese nämlich herauf, müsste der Staatsanwalt tätig werden und Haftbefehle ausstellen, was nicht völlig unmöglich ist, da einige Staatsanwälte tatsächlich nicht Mitglied der CDU sind.
Die Tradition, die Verbrecher selbst mit der Aufklärung ihrer Verbrechen zu beauftragen, geht zurück in die Zeit der Inquisition. Damals war es üblich, alle, die der Ketzerei oder Hexerei angeklagt waren, zu verbrennen.
Wer jedoch vor dem Inquisitor eine rückhaltlose Aufklärung ankündigte und den Empfang von Gold aus den Händen des Teufels beichtete, der wurde vor dem Verbrennen nur noch pro forma ein wenig gefoltert. Die CDU hat als christliche Partei dieses Verständnis von Recht und Ordnung verinnerlicht und schwört also seit Wochen vor dem Inquisitor der Neuzeit, den Medien, jeder Heimlichkeit ab.
Nun wird der ausländische Leser sich vielleicht fragen, warum wir denn in den 70er Jahren nicht die RAF mit der Aufklärung der Morde an Ponto, Buback und Schleyer beauftragt haben. Die Sache ist ganz einfach. Die Terroristen wollten nicht. Baader und Meinhof könnten heute gern gesehene Gäste in jeder Talkshow zum Thema »ein Millennium wird offen gelegt« sein, aber sie blieben halsstarrig. Die CDU ist da klüger. Sie stellt sich hin und fordert rückhaltlose Aufklärung. Und die bekommt sie auch. Von den Medien.
Nun wissen wir zwar, dass der Fisch am Kopf anfängt zu stinken, das heißt aber noch lange nicht, dass er nicht auch am Schwanz stinkt. Der Großinquisitor aus den Medien, der den Geruch von schmutzigem Geld heutzutage riechen kann, wie der Großinquisitor des Mittelalters den Schwefel des Teufels, kann seine Nase nicht überall reinstecken. Vor allem unsere Kommunalzeitungen sind eher Anzeigenblätter mit redaktionellem Mantel als ernst zu nehmende Mitglieder der 4. Gewalt, so dass der Arm der Inquisition nicht besonders weit reicht. Dies mag auch der Grund sein, warum die CDU in den Kommunen als Hort der Ehrlichkeit erscheint.
Aber ich kann meinen ausländischen Lesern versichern: keiner wird seiner gerechten Strafe entgehen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Gerade erst treten die Verbrecher aus dem anderen Teil Deutschlands ihre Strafen an. Es ist also durchaus möglich, dass Kohl, Kanther und Konsorten in fünfzehn oder zwanzig Jahren an ein Gefängnistor klopfen und rufen: Ich will hier rein. Wenn sie dann nicht wie Pinochet haftunfähig sind. – Solingen 17. Januar 2000