Wadde Hadde Dudde Da gewählt?
Spaß ist in. Politik ist out. So lautet das Votum der nordrhein-westfälischen Wähler, die heute in Scharen den Wahlurnen fern blieben. Dass Politik harte Arbeit ist, wie es Clement plakatierte, würde man ihm ja gerne abnehmen, wenn da nicht die Neigung der SPD gewesen wäre, sich diese Arbeit durch Freiflüge zu versüßen. Und überhaupt: Arbeit ist auch nicht gerade der Bringer. Auf der anderen Seite war die CDU-Parole »Kinder statt Inder« einfach zu verbissen stammtischorientiert. Das hat keinen tumben Spießer aus dem Schrebergarten hervor an die Urne gelockt. Und seit die Grünen sich nicht nur für Feuchtbiotope stark machen, sondern sich auch völlig unspontan mit Wirtschafts-, Finanz-, Justiz- und Europapolitik beschäftigen, fühlt man sich von ihren komplexen Wahlslogans arg überfordert. Einzig und allein der unnachahmliche Politclown Möllemann konnte heute ein paar geistige GTI-Fahrer dazu bewegen, ihre Stimme an die außerparlamentarische Opposition zu vergeben. Doch leider hat Möllemann weder das Format eines altgedienten Politclowns vom Schlage eines Kunzelmanns, noch die schlagfertige Lockerheit des Grand-Prix-Fünften Stefan Raab. Wo Kunzelmann den Clement mit einem rohen Ei behandelt hätte, lässt Möllemann seiner rohen Machtbesessenheit freien Lauf: machtgeil mit eingebautem Turbo und ohne Katalysator. Die Hand ständig an der Lichthupe ist er jederzeit bereit, links oder rechts, wie es sich gerade ergibt, zu überholen.
Besonders gut kommen seine Sprüche natürlich bei der so genannten Spaßgeneration an, die für einen Lacher ihr Kreuzchen überall machen würde. Denn wirkliche Zukunftspolitik ist viel zu anstrengend und überhaupt nicht lustbetont. Das kann man ernsthaft nun wirklich nicht wählen. So gesehen ist es kein Wunder, dass die Partei, die sich ohne jede Ironie darum bemüht, die Zukunftsslogans der anderen Parteien in die Tat umzusetzen, ebenso viele Prozente verliert wie die SPD, die nicht nur in der Flugaffäre gezeigt hat, dass sie meint, das Land diene dem Wohl der Partei. Nur so wird überhaupt erst verständlich, warum die Grünen mehr Stimmen abgegeben haben als die CDU, die Jahrzehnte lang Schwarzgeld auf ausländischen Konten versteckte und im Verdacht steht, politische Entscheidungen gegen prallgefüllte Aktenkoffer einzutauschen. Nur so lässt sich einem Normalsterblichen erläutern, warum die Grünen verlieren, und die F.D.P., die das Ausheben von Steuerschlupflöchern zur Kunstform erhoben hat und heute am lautesten über die Kompliziertheit des deutschen Steuersystems klagt, so stark gewinnt.
Es ist die völlig humorlose Ernsthaftigkeit, die den Grünen schadet. Die machen tatsächlich ernst und Zukunftspolitik ist unbequem. Sie ist, und das ist das wirklich Tragische an der Situation, sowohl den Anhängern der Grünen als auch den Wechselwählern mittlerweile lästig. Viele grüne Wähler sind zu Hause geblieben, weil sie sickig darüber sind, dass mit dem Amtsantritt grüner Minister das Parteiprogramm der Grünen nicht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erhoben wurde. Und viele Wechselwähler haben sich von den Grünen wieder abgewendet, weil sie gemerkt haben, dass ökologische Politik nicht nur Parkplatzbegrünung bedeutet, sondern auch die Benzinpreise verteuert.
Wahlergebnisse sind wie eine Stuhlprobe. Man muss nur wissen, wie man den Stuhlgang der Wähler richtig zu analysieren hat. Und da gibt es bekanntlich viele Königswege. Einige Heilpraktiker brauchen an einem Haufen Scheiße nur zu riechen und schon wissen sie, dass der Darm des Patienten mit Helicobacter pylori verseucht ist. Andere benötigen dafür teure Analysegeräte. Ich gehöre zu den besonders unseriösen Scharlatanen, die dem Stinkhaufen mit dem Pendel die Geheimnisse entlocken wollen.
Und Pendel lügen bekanntlich nie. Jahrelang, so sagt mir mein Pendel, litt dieses Land unter Verstopfung, nun, wo die Grünen mitregieren und die F.D.P. auf kaltem Entzug ist, stehen die Zeichen auf Diarrhöe. Und das Pendel verrät hektisch ausschlagend noch mehr. Die Leute haben Möllemann nicht gewählt, weil sie Tempo wollen, sondern weil sie mit dem Tempo, das die Welt zurzeit einschlägt, nicht mehr mitkommen und Möllemann ihnen eine Welt verspricht, wie sie ein beschränkter Geist gerne hätte. Keine Staus auf der Autobahn, das ist für Menschen links und rechts der A3 das Wichtigste!
Wer täglich im Stau steht, für den bewegt sich sogar ein grüner Fahrradfahrer mit atemberaubender Geschwindigkeit. Und es ist ja noch einiges mehr in Bewegung geraten. Erst fiel die Mauer, dann fiel der Euro. Erst stiegen die Aktien, dann fielen sie wieder. Einmal soll die Wehrpflicht abgeschafft werden, dann soll sie aus Sorge um Alte und Pflegebedürftige unbedingt erhalten bleiben. Während wir den Landtag von Nordrhein-Westfalen wählen, fordert unser Außenminister (Teufel nochmal, auch ein Grüner!) die Vereinigten Staaten von Europa. Erst dachten wir, das Boot Deutschland wäre voll, nun ist es leer und wir brauchen die Green Card. Erst wirft sich der Nachbar Österreich einem rechtsradikalen Populisten an den Hals, und die EU verhängt, wenn auch etwas operettenhaft, Sanktionen, dann läuft uns Joschka Fischer schon wieder davon und kann sich vorstellen, die Türkei in die EU aufzunehmen.
Ein gasförmiger, leicht flüchtiger Bestandteil der Stuhlprobe, die heute genommen wurde, sind aber auch die Nichtwähler. Und ob die nun eher aus Fatalismus, Dummheit oder aus Zufriedenheit mit Rotgrün dem Wahlabort fern blieben, darüber ist sich mein Pendel nicht einig.
Eigentlich sind ja Politiker die Meister im Schönreden, aber jemand, der bei diesem Wetter mit einem Pendel über einem Haufen Scheiße brütet, kommt zwangsläufig auf seltsame Gedanken. Daher möge man mir verzeihen, dass ich es als einen Anlass zur Hoffnung nehme, dass die Grünen doch noch auf rund sieben Prozent gekommen sind. Denn wenn man zu diesen sieben Prozent noch etwa 14 Prozent der SPD-Wähler und vielleicht sechs Prozent der CDU-Wähler hinzurechnet, die wie die Grünen ebenfalls bereit sind, für Ökologie, Menschenrechte und ein demokratisch vereintes Europa einzustehen, dann sind wir schon bei 27 Prozent. Und das ist dann ungefähr so viel wie Haiders FPÖ bei der letzten Wahl bekommen hat. Alles wird gut! – So, und nun weg mit der Scheiße! – Solingen 14. Mai 2000