Eingemachtes von der F.A.Z.
Saure-Gurken-Zeit nennt man die Wochen des Jahres, in denen endlich auch einmal die christsozialen Bayern Urlaub machen und die Nachrichtenticker immer leiser und leiser werden. Auf diesen Moment haben die Hinterbänkler aller Bundestagsfraktionen nur gewartet, denn nun können sie, die sonst nichts zu vermelden haben, mit ihren begrenzten Mitteln ein herrliches Sommertheater aufführen. Besonders lautstark melden sich die Mäuse zu Wort, wenn die Katze wie Kohl am Wolfgangsee oder wie Schröder am Mittelmeer weilt. Aber in diesem Jahr will sich niemand so recht hervorwagen, um sich in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen und nicht selten lächerlich zu machen. Selbst Möllemann betet seine 18 Prozent nur noch wie ein Vaterunser still vor sich hin.
Unter einer solchen Nachrichtenflaute leiden die Printmedien besonders stark, da sie mit spektakulären Liveübertragungen direkt aus der abgestürzten Concorde nicht dienen können. Ganz besonders kränkeln auch hier die Verlierer, also die Printmedien, die sich in der neuen Zeit, in der jeder kluge oder weniger kluge Kopf seine eigene Zeitung im Internet betreibt, nicht zurechtfinden. Und die größte Verliererin, gemessen an der Abseitigkeit ihrer Sommertheaterinszenierung, muss die Frankfurter Allgemeine Zeitung sein, denn sie debütierte gestern mit einem Stück, bei dem selbst hartgesottene Verehrer des volkstümlichen Laienschauspiels nur ratlos den Kopf schütteln. Am 1. August 2000 will die F.A.Z. zur alten Rechtschreibung zurückkehren.
Die Begründung für diese Eulenspiegelei dürfte Schüler, die mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stehen, sehr interessieren. Denn die Redaktion der ‘Zeitung für Deutschland’ erklärte: »Weder hat sich eine verbesserte Sprachbeherrschung eingestellt, noch hat sich die Einheitlichkeit der deutschen Sprache bewahren lassen.« Waren die Frankfurter intellektuell nicht in der Lage, die neuen Regeln halbwegs richtig anzuwenden? Wundern würde dies nicht, klagt doch alle Welt, dass selbst Hochschulabgänger mir und mich verwechseln und beim Schreiben legasthenische Höchstleistungen vollbringen. Deutsche Sprache schwere Sprache. Wer täglich wie ein Ertrinkender darum kämpft, als Sprachrohr eines aussterbenden Bildungsbürgertums noch ernst genommen zu werden, um sich dann an diesem Sprachrohr, wie an einem dürren Strohhalm aus dem Strudel der Mediengesellschaft heraus zu ziehen, der hat natürlich keine Zeit, sich die neuen Rechtschreibregeln einzupauken. Oder saßen die Herren Meinungsmacher wie abgerichtete Zootiere vor dem geöffneten Käfig der neuen liberalisierten Kommasetzung und wussten nicht, was sie mit ihrer plötzlichen Freiheit anfangen sollten?
Das mag alles sein. Vielleicht erlag die Redaktion aber auch dem weit verbreiteten magischen Denken, das Pennäler dazu bringt beim Diktat alle 150 Pokémons vor sich aufzubauen, weil sie glauben, dann beim Aneinanderreihen der Buchstaben mehr Fortüne zu besitzen. Es wäre doch möglich, dass sich die F.A.Z. in die Goethe-Zeit zurücksehnt, als jede Zeitung, jeder Dichter und Denker mehr oder weniger seine eigene Rechtschreibung besaß. Und nun möchte die Zeitung durch Einführung eines orthografischen Vielvölkerstaats die kulturell so belebende Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts wieder herbeizaubern.
Und wo wir schon einmal beim Jahrhundert der Freimaurerei angelangt sind, möchte ich noch einen letzten Verdacht äußern. Will sich die F.A.Z. allen verfolgten Alt-Rechtschreiblern als letztes Asyl anbieten? Will sie als papierene Arche der deutschen Kultur unsere leicht verderblichen Errungenschaften als Volk der Dichter und Denker wie Gurken einmachen und hinüberretten in eine Zeit, in der Deutsch als tote Sprache neben ägyptischen Mumien im Museum verstaubt? Will sie eine Bruderschaft der deutschen Sprache gründen, deren Mitglieder sich gegenseitig am Esszett erkennen?
Aber wer will das schon wirklich wissen? – Solingen 27. Juli 2000