6 Millionen arme Sünderlein
Dass es einer langjährigen und unablässigen Übung bedarf, um das menschliche Gehirn so weit zu verfeinern, dass es in der Lage ist, sublimste religiöse Weisheiten zu imaginieren, hat uns an diesem Wochenende Rabbi Ovadia Yosef, der geistige Anführer der ultraorthodoxen Shas-Partei, anschaulich vor Augen geführt. Über die durch jahrelange Meditation erreichte Weisheit dieses Mannes kann sich nur jemand wundern, der noch nie eine Nacht in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt verbracht hat. Dort sind intellektuelle Höhenflüge wie der des Rabbis an der Tagesordnung. Rabbi Ovadia Yosef hat von Gott nämlich vernommen, dass die sechs Millionen jüdischen Holocaust-Opfer allesamt ehemalige Sünder waren, die auf die Erde zurückgekehrt sind, um ihre Sünden zu büßen. Hätte man Eichmanns Leichnam damals nicht in alle Winde zerstreut, würden Anhänger der Shas-Partei heute wahrscheinlich Wallfahrten zu seinem Grab machen, hat er mit seinem reinigenden Fegefeuer doch immerhin sechs Millionen Sünderlein zur ewigen Seligkeit verholfen.
Jetzt mehren sich in Israel zwar die Stimmen, die den weisen Rabbi kritisieren, weil er Wasser auf die Mühlen der Antisemiten und Neonazis kippen würde. Ich bin da aber ganz anderer Meinung. Denn Rabbi Ovadia Yosef hat mit seinen Äußerungen doch aller Welt gezeigt, dass wenigstens die Rabbis der Shas-Partei den Neonazis intellektuell weit überlegen sind. Im bunten Reigen der Auschwitz-Lügen wird die Version des Rabbis jedenfalls in alle Ewigkeit einen Ehrenplatz einnehmen.
Was uns tumbe Europäer beim Anblick des vergeistigten Israels immer wieder verstört, ist die bedauernswerte Tatsache, dass die israelische Gesellschaft keinerlei Mitleid mit Leuten wie Rabbi Ovadia Yosef hat. Anstatt ihnen psychiatrische Hilfe zukommen zu lassen, zwingen sie solche labilen Menschen auch noch auf einem Ministerposten Platz zu nehmen. Dabei weiß man doch aus Erfahrung, dass man eine Kabinettssitzung nicht mit einer Sitzung beim Psychiater vergleichen kann. Höchstens mit einer Gruppensitzung in der Geschlossenen. Die Psychologie hat aber schon längst bewiesen, dass Begriffe wie »normal« und »krank« absolut gesehen total relativ sind. Und in einem Land, in dem seit Jahren Inspirierte wie Rabbi Yosef ohne jede ärztliche Rücksicht gezwungen werden, die Bürde der Regierungsgewalt zu übernehmen, verschieben sich die Dimensionen besonders schnell.
Religion ist Doping fürs Hirn, man kann plötzlich so schnell denken, dass man kaum noch bremsen kann. Im Nahen Osten schluckt man das Zeug seit Jahrtausenden besonders hemmungslos, so dass der Weltrekord, den Rabbi Ovadia Yosef da gerade aufgestellt hat, bestimmt nicht lange halten wird.
Die Welt könnte so schön sein, wenn man den Popen, Rabbis und Ajatollahs dieser Welt eine Insel schenken würde, irgendwo im indischen Ozean, die sie dann God’s own Country nennen könnten. Madagaskar vielleicht. – Solingen 7. August 2000