Perücken wie im Oberhaus
Endlich haben gewisse Journalisten ein Thema gefunden, das nicht nur ihrem eigenen Intelligenzquotienten entgegenkommt, sondern auch ihre Leserschaft nicht allzu sehr überfordert: Koksende Politiker. Das ultimative Thema nach dem CDU-Spendenskandal. Deutschland ist entsetzt: Abgeordnete, die sich auf den heiligen Klos des Reichstags eine Line nach der anderen reinziehen, um im Parlament den Daum zu machen und ihre Altherrenmannschaft an die Tabellenspitze zu schnupfen.
Drogen – das ist endlich auch ein Thema für so einfach gestrickte Leute wie Wolfgang Zeitlmann, seines Zeichens Rechtsexperte der CSU, der nun von allen Abgeordneten Haarproben nehmen will. Wahrscheinlich hat Zeitlmann seine Lehren aus dem Erfolg des Bayernmanagers Uli Hoeneß gezogen und glaubt nun, den Bundeskanzler und seinen Außenminister an den Haaren aus dem Amt zerren zu können.
Man wartet eigentlich nur noch auf Clintonsche Geständnisse in der Art: »Ja, ich habe gekokst, aber ich habe dabei nie inhaliert.« Es müssten sich in deutschen Fahndungscomputern doch noch irgendwelche Jugendsünden von Schröder, Fischer und Konsorten finden lassen, mit denen man den Machtverhältnissen im Land einen Ruck versetzen kann. Doch das Schnüffeln hat auch seine gefährlichen Seiten. Vielleicht kommt bei der Suche im Computer nur heraus, dass Wolfgang Zeitlmann wie George Busch jr. vor 24 Jahren betrunken Auto gefahren ist und in der Ausnüchterungszelle eines bayrischen Dorfgefängnisses ein kostenfreies Logis bekommen hat.
Amerikanische Verhältnisse sind kaum noch aufzuhalten. Der Halloween-Lachsack im Supermarkt und das gestammelte Geständnis mal ne Tüte gedreht zu haben, das gehört heutzutage zur deutschen Leitkultur. Wir müssen uns also wohl oder übel auf sensationelle Enthüllungen gefasst machen.
Koks aufm Klo. Das ist wirklich eine haarige Geschichte. Ich sehe schon, wie sich die Abgeordneten im Bundestag in die Haare kriegen und dem politischen Gegner mit wilden Beschimpfungen ganze Haarbüschel ausreißen, um mit diesen unwiderlegbaren Beweisen ins nächste kriminaltechnische Labor zu hetzen und sich – hinten anzustellen. Aber keine Angst, jeder kommt mal an die Reihe.
Der Wahlkampf ist zwar noch fern, aber man kann nicht früh genug damit anfangen, am politischen Gegner kein gutes Haar zu lassen. Jetzt weiß ich wenigstens, wo der Ursprung dieser Redewendung zu suchen ist. Überhaupt bekommen so einige Volksweisheiten seit Daums Selbstkastrierung wieder eine brandaktuelle Bedeutung. So sind die Damen und Herren auf den harten Bänken der Opposition bestimmt um kein Haar besser als die Kokser von der Regierungsbank. Oder: Findet man bei Schröder ein Haar in der Suppe, braucht man ihm nicht mehr in selbige zu spucken.
Mir stehen jedenfalls die Haare zu Berge. Wenn die Argumente für den Wahlkampf so an den Haaren herbeigezogen werden, muss man sich nicht wundern, wenn die Abgeordneten demnächst glattrasiert wie Olympia-Schwimmer zur Arbeit erscheinen. Vordenker wie Struck können sich dagegen jetzt schon ins Fäustchen lachen. Ihnen kann keiner ein Haar krümmen.
Die Kokainfunde im Reichstag erklären auch endlich, warum Politiker, die sich noch nicht einmal wegen des rechtsradikalen Terrors in Deutschland graue Haare wachsen lassen, trotzdem so schnell ergrauen. Das ist alles Puderschnee vom Feinsten.
Es ist wirklich haarsträubend. Wenn man die kommenden Schlagzeilen vor dem geistigen Auge Revue passieren lässt, dann wünscht man sich sehnlichst, dass Deutschland eine Tradition wie England hätte, wo die Mitglieder des House of Lords mit Perücken im Sitzungssaal erscheinen. Nimmt man davon ein Haar unter die Lupe, findet man höchstens Mottenpulver. – Solingen 3. November 2000