Brot für die Welt, Büchsenfleisch für Bayern
Wenn in diesem Jahr, liebe Leser, die Lichter an den Weihnachtsbäumen der zivilisierten Welt entzündet werden und die Atomkraftwerke eine Schaufel Uran nachlegen, dann gibt es in einem der ärmsten Länder der Welt keine glänzenden Augen, keine strahlende Vorfreude und keine wohnliche Behaglichkeit, sondern lange Gesichter. Für all zu viele Menschen wird das Beisammensein unter dem Weihnachtsbaum traurig und sorgenvoll werden. Denn während die gedankenlosen Schlemmer in den glücklicheren Erdteilen am Heiligen Abend beginnen, sich mit prall gefüllten Rinderrouladen, saftigem Sauerbraten oder herzhaft zarten Rindersteaks einen satten Wanst anzufressen, wegen dem sie nur wenige Tage später falsche Schwüre in die Silvesternacht hinausbrüllen; während wir, liebe Leser, es uns also gut gehen lassen, müssen die Bayern, dieses leidgeprüfte Volk mitten im schwarzen Kontinent Europa sich mit Butterbroten, Bratkartoffeln und nährstoffarmem Gemüse bescheiden, um die Geburt des lieben Jesukindes zu feiern.
Der Hunger in diesem Teil Europas ist so bitter, dass sich glücklich schätzen kann, wer noch einer Gans den Hals umdrehen, vom Skilift einen Bock schießen oder einem Karpfen in der Badewanne die letzten Lebenstage mit Weihnachtsliedern versüßen kann. Fromme Weihnachtslieder, die – man stelle sich dieses Bild vor! – von schokoladenbeschmierten, kleinen Bayernkindern gesungen werden, die mit ihren vom ewigen Gemüse aufgedunsenen Bäuchen ein wahres Bild des Jammers abgeben. Die weniger Glücklichen, die keine Gans, keinen Bock, keinen Karpfen ihr eigen nennen, müssen auf Schweinehaxen und Sojabratlinge zurückgreifen.
Die Ursache für das erbarmungswürdige Elend in Bayern ist, lieber Leser, nicht etwa eine langanhaltende Dürre oder eine biblische Überschwemmung. Nein, der Grund ist Unwissenheit, Aberglaube und Korruption. Insbesondere der notorisch niedrige Bildungsstand der Eingeborenen ist erschreckend. So sind die bayrischen Bauern immer noch dem primitiven Aberglauben verfallen, wonach Rinder durch den Verzehr von Tierkadavern größer und gesünder werden.
Doch wir wollen nicht hochmütig sein, liebe Leser. Es ist nur der Gnade Gottes zuzuschreiben, dass wir in einer besseren Welt leben. Und daher ist unsere christliche Pflicht, als geistig und moralisch überlegene Zivilisation, den Wilden aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszuhelfen.
Lange standen wir allein. Doch jetzt haben kirchliche Hilfsorganisation, Ärzte ohne Grenzen, das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen ein Sofortprogramm beschlossen, um eine humanitäre Katastrophe in letzter Minute abzuwehren. Das Hilfsprogramm umfasst neben dringend benötigten Rinderkonserven aus Amerika auch ein Aufklärungsprogramm der UNESCO. Mit speziell für Analphabeten entwickelten Bildergeschichten will man zunächst den Bayern, später auch anderen Europäern, elementare Grundbegriffe der Tierzucht beibringen. UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte anlässlich der Spendenaktion Corned Beef für Bayern: »Zunächst wollen wir Bayern mit dem Notwendigsten versorgen: Büchsenfleisch, Würste und Leberkäs. Anschließend bringen wir ihnen bei, ihre Rinder nicht mehr mit Tierkadavern zu füttern.«
Neben dem Engagement staatlicher, kirchlicher und anderer Organisationen gibt es auch viel private Spendenbereitschaft. So formen beispielsweise Eskimokinder kleine Kühe aus Eis und schicken sie in von Langnese gesponsorten Kühltaschen ins Allgäu. Indische Mönche wollen den Bayern drei Heilige Kühe schenken. Die genügsame Gabe, finanziert von indischen Programmierern, soll auf dem Nürnberger Christkindlmarkt ihren Platz in der großen Krippe finden. Besonders rührig aber zeigt sich Kenia, das sich bereit erklärt hat, 100 Massai-Familien mit ihren Rinderherden, die zurzeit noch auf den vergilbten Mittelstreifen von Autobahnen in und um Nairobi grasen, nach Bayern zu entsenden, damit diese den dortigen Bauern am praktischen Beispiel den fachgerechten Umgang mit Weidevieh beibringen können.
Wir sollten uns, liebe Leser, das Engagement der Eskimos, Inder und Massais zu Herzen nehmen. Wir alle müssen unseren Beitrag für mehr Menschlichkeit in den Ställen der Welt leisten. Jeder kann helfen. Die Barmherzigkeit findet immer einen Weg. So kann man z. B. in einem Bayern-Laden einkaufen und damit die lokalen Selbsthilfegruppen im Allgäu unterstützen. In den Bayern-Läden gibt es u.a. Automobile, die von bayrischen Bauern in ihrer Freizeit mit der Hand gefertigt werden, die normalen Autos in nichts nachstehen. Man kann sogar mit ihnen fahren. Der Verkauf dieser Fair-Trade-BMW-Autos ermöglicht es den Bayern teure Futtermittel für ihre Allgäuer Kühe und Corned Beef für ihre hungrigen Kinder einzuführen. Für einen BMW gibt es zurzeit gute dreihundert Dosen Büchsenfleisch besten argentinischen Rindfleischs. – In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern einen gesegneten Weihnachtsbraten. – Solingen 19. Dezember 2000