Umzingelt von Nazis oder Ganz schön schizo
Oder: Trägt Guido Westerwelle eine Perücke?
Nur ungern verlasse ich zurzeit das Haus, denn ich bin wahrscheinlich der letzte Nicht-Nazi unter lauter Neo-Nazis. Glaubt man den Äußerungen unserer Politiker, dann sind die Nazis über uns gekommen wie die Maul- und Klauenseuche. Ein Ruck, ein Zuck und schon waren sie überall.
Früher, in der guten alten Zeit, da gab es nur wenige Nazis in Deutschland. Restexemplare sozusagen wie Franz Josef Strauss, der als Führer einer Partei, die gegen das Grundgesetz gestimmt hatte, stets zu den üblichen Verdächtigen gehörte und der gerne in einen schmissigen Offizierston verfiel, wenn er Andersdenkende traditionsbewusst als Ratten und Schmeißfliegen bezeichnete. Heute ist das anders, da wimmelt es nur so von Nazis in der alten Reichs- und neuen Bundeshauptstadt Berlin.
So enttarnte vor kurzem Jürgen Trittin den Generalsekretär von Deutschlands größter Spendenorganisation als üblen Gesellen, und behauptete, Laurenz Meyer habe nicht nur das Aussehen, sondern auch die Mentalität eines Skinheads. Das war natürlich sehr ungezogen, denn schon als Kind lernt man doch: Über die körperlichen Gebrechen anderer Menschen spottet man nicht!
Früher, vor 20 Jahren in der guten alten Zeit, hätte so jemand wie Meyer noch nicht einmal das Zeug zu einer nationalen Witzfigur gehabt. Da war Helmut Kohl schon ein ganz anderes Kaliber. Jahrelang konnte man abendfüllende Witze über seine Kopfform reißen, ohne als ungezogener Bengel dazustehen.
Aber es kommt noch schlimmer! Nicht nur provinzielle Politiker mit launigen Plakatideen sind in Wirklichkeit finstere Skinheads. Sogar in der Regierung sitzen die Braunen schon wieder. Dem Strauss-Enkel Edmund Stoiber ist es zu verdanken, dass wir nun wissen, was wir uns unter grüner Landwirtschaft vorstellen müssen bzw. nicht vorstellen können, denn wer außer einem bayrischen Agrar-Historiker oder einem waschechten Nazi kann sich heute noch etwas unter dem Begriff ›Reichsnährstandsideologie‹ vorstellen?
Zu welcher Sorte Stoiber gehört, der Renate Künast kürzlich braune Methoden in grünem Gewande vorwarf, das kann ich nun wirklich nicht auf die Schnelle entscheiden.
Immerhin ist die Opposition nicht mehr gespalten. Man ist sich jetzt rechts der neuen Mitte quer durch die christliche und freidemokratische Bank einig, dass sich der Bundespräsident seine Reden im In- und Ausland zukünftig von einem Skinhead schreiben lassen soll, damit er uns Deutsche mit dem Refrain und Ceterum Censeo ›Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein‹ endlich angemessen repräsentiert.
Dieses Skinhead-Gegröhle ist für Deutschlands Rechte mittlerweile ein freimaurerisches Erkennungszeichen geworden. In politisch unübersichtlichen Zeiten, in denen der Gestank vom Kopf den Schwanz erreicht hat und ihm den Appetit an gut dotierten Pöstchen verdirbt, hält man sich gerne an einfachen Wahrheiten fest. Da man als gemeiner Parteisoldat nicht mehr weiß, ob ein CDU-Kanzler nun seine Richtlinienkompetenz ausgeübt oder gegen Geld ausgeliehen hat, möchte man wenigstens mit der rechten Gesinnung bestechlich sein. So erkennt man sich am Stolz, durch und durch deutsch zu sein. Eigentlich verständlich, denn auf seine weiße Weste kann in der CDU wohl kaum noch jemand stolz sein.
Der Wahlspruch der Neonazis ist der ideale Gesinnungs-TÜV. Nachdem die Union bei ihrem Versuch, Jürgen Trittin wegen seiner Witze über Meyers Haarpracht zu Fall zu bringen, im Parlament eine Schlappe erlitten hat, will sie nun den Antrag stellen, dass jeder, bevor er wie ein Hammel springen darf, sich an die Brust klopfen und mit nationaler Freude in der Stimme ausrufen soll:›Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!‹ Der Vorschlag zu diesem nationalen Hammelsprung kam vermutlich vom Leithammel der CDU, dessen Haare sich ebenfalls schon bedenklich lichten.
Dank des Skinhead-Evergreens hat auch endlich Guido Westerwelle eine Melodie gefunden, die er glaubhaft trällern kann. Den seriösen Wirtschaftsexperten hat ihm eh keiner abgenommen und einen Liberalen alten Schlages, von denen es in der FDP immer sehr viel weniger Exemplare gab, als man uns gerne vorgaukelte, wollte er sowieso nie verkörpern. Nun glänzt Guido Westerwelle in seiner Paraderolle, als schnittiger Nationalliberaler, der stolz ist, ein Deutscher zu sein, und wehleidig darüber klagt, dass er dies wegen der Trittins auf dieser Welt nicht mehr stolz in die Mikrophone brüllen darf. Ob Westerwelle eine Perücke trägt?
Wenn man sich die politischen Reibereien der letzten Wochen einmal anschaut, so kann man im Ergebnis festhalten, dass CDU und CSU zwar die Lieblingsparole der Neonazis und Skinheads unbelästigt durch Trittin psalmodieren möchten, sich aber gleichzeitig als aufrechte Antifaschisten verstehen und grüne Verbraucherpolitik als braune Reichsnährstandsideologie entlarven. Ganz schön schizo! – Solingen den 18. März 2001