Shakespeares Affen und das deutsche Wahlvolk
Worin sich Wähler von Affen unterscheiden
Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, man müsse eine Horde von Affen nur lange genug auf einem Dutzend Schreibmaschinen herumtippen lassen, früher oder später bringt einer der Affen ein Sonett von Shakespeare zu Papier. Die Ewigkeit, mit der diese Wissenschaftler so großzügig umgehen, ist eine ziemlich lange Zeit, so dass ich fürchte, unserer Affenhorde wird lange vor dem ersten ›From fairest creatures we desire increase‹ die Lust am Tippen vergehen.
Eins weiß ich jedoch gewiss. Eine ganze und eine halbe Ewigkeit reichen nicht hin, damit eine Affenhorde, ausgerüstet mit Kugelschreibern und Wahlzetteln, ein Wählervotum hinbekommt wie es die Wähler in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am letzten Sonntag zu Stande gebracht haben. Ich bin zwar immer der Meinung gewesen, dass man die Klugheit der Wähler nicht unterschätzen kann, aber dieser Wahlsonntag hat wieder einmal bewiesen, es gibt doch noch große Unterschiede zwischen Affen und Menschen.
Beginnen wir mit den Wählern ganz rechts außen, den Neonazis, Ausländerhassern und Antisemiten, die bei der letzten Wahl den Republikanern zu einem fast zweistelligen Ergebnis verholfen haben. Nun wird man von den Wählern der Republikaner nicht unbedingt intellektuelle Glanzstücke verlangen, dass sie aber so dumm sind, einem eher linken Grünen auf den Leim zu gehen, kann man sich kaum vorstellen. Dennoch glaubten sehr viele rechtsradikale Wähler den Äußerungen Jürgen Trittins, dass Laurenz Meyer die Mentalität eines Skinheads habe. Schnurstracks liefen sie den zahm gewordenen Republikanern in Scharen davon und wählten Erwin Teufel. Ein Affe hätte sich von Jürgen Trittin nie in seiner Wahl beeinflussen lassen.
Doch nicht nur braune Wähler bewiesen die Überlegenheit der menschlichen Gattung über die äffische. Auch die Roten zeigten, was in ihnen steckt, wenn man ihnen bloß einen süßen, garantiert politikfreien Fratz vorsetzt. Sie umschwirrten Ute Vogt wie Motten das Licht.
Guido Westerwelle soll, aufgeschreckt durch den Erfolg der SPD, schon Verhandlungen mit Verona Feldbusch führen, die er als Spitzenkandidatin in die nächste Bundestagswahl schicken will. Mit Mini-Mini-Feldbusch will er zwei Motten auf einen Schlag erledigen. Erstens möchte er mit Veronas Reizen einen Jürgen W. Möllemann als Kanzlerkandidaten verhindern und zweitens die hormongesteuerten Erstwähler für eine runderneuerte FDP begeistern.
Kommen wir zu den Wählern der Grünen. Aus der Wahlforschung weiß man, dass das Bildungsniveau der grünen Wähler besonders hoch ist. Man darf also erwarten, dass eine Horde von grünen Wählern höchstens ein Drittel der Ewigkeit benötigt, um einen Limerick zu dichten. Deshalb lassen sie sich auch nicht von einem Jürgen Trittin davon abhalten, grün zu wählen, nur weil der einen CDU-Politiker als skinhead-tauglich einstuft. Der Grund, warum den Grünen die Wähler weglaufen, lautet nicht Dummheit, sondern Fürsorge. Aus Angst, ihre Partei könne in der Regierung deformiert werden, versuchen grüne Sympathisanten alles, um eine Regierungsbeteiligung der Grünen zu verhindern. Fürsorgliche Dialektik muss man das wohl nennen. Leider gibt es immer wieder auch Hasswähler, die den Grünen Böses wollen, und sie deshalb wählen, so dass diese Strategie wie z. B. in NRW nicht immer zum Erfolg führt.
Es gibt auch Wahlforscher, die für das schlechte Abschneiden der Grünen ganz andere Gründe angeben: Motive, die nicht in der Großhirnrinde beheimatet sind, sondern viel tiefer sozusagen in der Psychologie der Affen verborgen sind. Es ist das bekannte Ärzte-Syndrom. Welcher Lungenkrebspatient liebt schon seinen Arzt, der ihm immer wieder gesagt hat, er solle mit dem Rauchen aufhören, und der ihn nun mit Chemikalien vollpumpt, dass ihm die Haare büschelweise ausfallen? Ebenso ergeht es den Grünen, die immer schon die industrielle Landwirtschaft anprangerten und nun Millionen Tiere notschlachten lassen. Natürlich wirft dies ein schlechtes Licht auf die Nicht-Wähler der Grünen, aber man kann auch nicht von jedem Wähler verlangen, dass er ein Shakespeare-Sonett liest, wenn es von einem Affen geschrieben wurde.
Fazit: Wer Humanist bleiben will, sollte nie Wahlforscher werden. – Solingen den 26. März 2001