Inder statt Kinder
Wer Ausländer hasst, verliert in Deutschland langsam aber sicher seine politische Heimat. Die NPD soll verboten werden und die CSU, das letzte Bollwerk gegen die Durchrassung unserer Gesellschaft, verkündet plötzlich, dass eben jene Durchrassung nun doch stubenrein sei und Deutschland dringend mehr Einwanderer brauche. Wie kam dieser überraschende Sinneswandel zu Stande? Erschien Stoiber und seiner Arier-Enklave etwa schon zu Ostern der Heilige Geist?
Nicht nur Atheisten dürften begründete Zweifel an einer österlichen Erleuchtung der CSU hegen. Die Ursache für diesen Kurswechsel muss man wohl weniger im weißblauen Himmel über München als vielmehr in Karlsruhe suchen. Vermutlich hat das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Familienpolitik der CSU die Augen geöffnet: und zwar für die Kosten einer Politik, die den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft und den Finanzbedarf der Sozialsysteme mit Hilfe reinrassiger, deutscher Zeugungswerkzeuge zu decken versucht.
Nach aktuellen Schätzungen investiert eine Familie durchschnittlich in jedes Kind eine Million DM, bis dieses Kind endlich seine erste Mark in die Sozialversicherung einzahlt. Wäre man nun gezwungen, die Herstellung reinrassiger Arbeitskräfte und Steuerzahler mit Hilfe einer spürbar familienfreundlicheren Politik als bisher zu fördern, käme Vater Staat schnell in die Bredouille. Man müsste dann wohl oder übel am anderen Ende sparen, also dort, wo gewiefte Politiker in regelmäßigen Abständen gefüllte Aktenkoffer vorfinden.
Kinder statt Inder, das ist zwar ein löbliches Ziel, aber selbst der Vater dieses intellektuellen Wechselbalgs, Jürgen Rüttgers, hat mittlerweile begriffen, dass wir uns eigene Nachwuchskräfte gar nicht mehr leisten können. Facharbeiter aus Indien oder Osteuropa sind wesentlich billiger als arische Leistungsträger, die man erst mühsam aufziehen, jahrzehntelang ausbilden und in sündhaft teuren Universitäts-Mensen ernähren muss. Zudem kann dabei eine Menge schief gehen, was enorme Zusatzkosten für Erziehungsheime, Jugendvollzugsanstalten und Aussteigerprogramme verursacht. Und nebenbei bemerkt: die Kinder von heute sind die Skins von morgen, die bekanntlich nichts anderes im Sinn haben als Rufmord am Standort Deutschland zu begehen.
Diese exorbitanten Mehrkosten für einheimische Fach- und Führungskräfte, die im Vergleich zu den ausländischen Zuwanderern bloß vermehrt blond und blauäugig sind, schlagen seit jeher in den öffentlichen Haushalten negativ zu Buche. Doch nun verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass die Gemeinschaft der Shareholder den Eltern einen Teil der Kindererziehungskosten auch noch durch geringere Beiträge zur Pflegeversicherung erstatten soll. Eine Entwicklung, die sich – der Bayern-Gott verhüte es! – auf andere Bereiche auszuweiten droht: auf die Rentenversicherung, die Krankenkassen und die Steuern. Das würde die Eltern zwar nicht fett, den aufwandsentschädigungsberechtigten Geldeintreibern aus den Parlamenten aber einiges Kopfzerbrechen machen. Darüber hinaus ist Familienförderung auch wettbewerbsrechtlich auf EU-Ebene umstritten. Es kann nicht angehen, dass deutsche Hersteller von Führungskräften im Gegensatz zu ihren europäischen Konkurrenten staatliche Subventionen erhalten.
Bevor uns also in Deutschland die Windeln und die Kosten über den Kopf wachsen, hat Edmund Stoiber lieber die Notbremse gezogen und den Rüttgerschen Wahlspruch einfach umgedreht: Inder statt Kinder so lautet nun seine Parole. Denn kinderlose, hochqualifizierte, steuer- und abgabenzahlende Zuwanderer, die lange bevor sie den Sozialkassen zur Last fallen könnten, wieder in ihre Heimat zurückkomplimentiert werden, sind viel effizienter als Kinder. Man spart z. B. die Gehälter für Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter ein. Man braucht sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, ob man den Leistungsträgern von morgen besser in der Gesamtschule oder im Gymnasium die ersten Management- und Programmierkenntnisse beibringen soll. Zuwanderer sind überdies wesentlich pflegeleichter als Kinder, um die man sich spätestens in der Pubertät mal wieder kümmern muss. Ausländische Fachkräfte müssen auch nicht alle fünf Jahre umgeschult werden; bei drohender Arbeitslosigkeit können sie umgehend in ihr Heimatland abgeschoben werden. Zwar essen Inder, BSE hin oder her, kein billiges Rindfleisch aus dem Supermarkt, aber gegen Antibiotika im Schweinefleisch haben sie keinerlei religiöse Bedenken. Da aber nicht alle Zuwanderer Hindus sein werden, löst die neue Arbeitsmarktpolitik der CSU über kurz oder lang auch das Rindfleischproblem. Ausländische Arbeitskräfte demonstrieren selbstverständlich auch nicht gegen Atommülltransporte, und sie drücken selbst bei mehrfach überschrittenen Grenzwerten ein Auge zu. Und sollten sie beide schließen, findet sich kein Kläger.
Ausschlaggebend für die neuen Töne aus München, war aber wohl die Vermutung Stoibers, dass Ausländer aufgrund ihrer Mentalität gegenüber korrupten Politikern sehr viel toleranter als deutsche Schulabgänger sind. Da können Parteien wie CDU und CSU schnell auf den Geschmack kommen und Ausländern obendrein auch noch das Wahlrecht anbieten.
Fazit: Jedes Ding hat zwei Seiten, bloß einen Christdemokraten kann man drehen und wenden, wie man will. – Solingen den 24. April 2001