Alles in Butter?
Die Taliban sind Geschichte, die westlichen Shelter-Now-Mitarbeiter sind frei, die deutsche Fußballnationalmannschaft fährt zur WM und Holland bleibt zu Hause. Es ist also alles in Butter, wäre da nicht die heikle Vertrauensfrage, die der Kanzler am morgigen Freitag im Parlament stellen will. Dabei geht es um einen Antrag, der nach der Vertreibung der Taliban aus weiten Teilen Afghanistans seltsam antagonistisch wirkt. Nachdem die umstrittene militärische Schlacht gegen die Taliban geschlagen zu sein scheint, wird der Bundeswehr in Afghanistan wohl die Aufgabe zufallen, das Land unter UN-Mandat gemeinsam mit anderen UN-Truppen zu stabilisieren. Dies ist eine Aufgabe, der man sich nur mit sehr abenteuerlichen Argumenten entziehen kann.
Eigentlich ist also alles in Butter: die Afghanen, die angeblich von den USA in Grund und Boden gebombt wurden, jubeln auf den Straßen Kabuls, scheren sich die Bärte und hören Musik. Vor wenigen Tagen hätten sie unter der Herrschaft der Taliban diese Lebensfreude noch mit ihrem Leben bezahlt. Und sie müssten es auch weiterhin mit ihrem Leben bezahlen, wenn die USA auf die von ihren Kritikern geforderte politische Lösung gesetzt hätten.
Eigentlich wäre alles in Butter, gäbe es da nicht noch die vertrackte Vertrauensfrage, durch die es in Deutschland fernab vom Teufel Amerika zu einem Etappensieg der islamistischen Terroristen kommen könnte. Denn wenn die rotgrüne Koalition am Freitag zerbricht, würde vieles den Bach hinuntergehen, wofür auch diejenigen lange Zeit gekämpft haben, die nun einen esoterischen Pazifismus ins Feld führen. Ohne die Grünen wird es keine ökologischen Reformprojekte mehr geben, die unser Planet und unsere Wirtschaft so dringend benötigen. Die grüne Partei ist die einzige Kraft, die die Mühen auf sich nimmt, den in Deutschland weit verbreiteten Öko-Hedonismus in stoische Gesetze zu zwingen, mit denen allein man den Problemen Herr werden kann.
Doch hier sollen keine toten Afghanen gegen aussterbende Tierarten aufgerechnet werden. Sehen wir das Ganze einmal rigoros moralisch. Die Abgeordneten, die am Freitag gegen den Bundeswehreinsatz und gegen Gerhard Schröder stimmen werden, sollten sich einmal fragen, ob ein Pazifist eine Waffe im Haus hat. Seit 1998 dulden die Grünen die Bundeswehr und die Mitgliedschaft in der Nato, ohne konkrete Schritte zu unternehmen, daran etwas zu ändern. Bisher konnten alle grünen Abgeordneten damit gut leben, jedenfalls war nirgends lautstarker Protest zu vernehmen. In anderen Poltikfeldern war dies ganz anders.
Obwohl es seit Jahrzehnten in Deutschland eine gesellschaftliche Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomkraft gab, konnte erst durch die Regierungsbeteiligung der Grünen der übermächtigen Atomlobby und der atomfreundlichen SPD ein Kompromiss abgerungen werden, der die Nutzung der Atomkraft in Deutschland tatsächlich begrenzt. Viele haben sich mehr erhofft, doch es ist unbestritten, dass die Grünen in dieser Frage nicht nur geredet, sondern auch beharrlich gehandelt haben. Sie haben jedoch nie ernsthaft versucht, die Bundeswehr abzuschaffen oder aus der Nato auszutreten. Es war ja auch sehr bequem, in ruhigen Zeiten in dieser Frage einen privaten Pazifismus fürs eigene seelische Gleichgewicht zu pflegen.
Jede Krise offenbart Lebenslügen. Der morgige, möglicherweise ziemlich schwarze Freitag zeigt schon heute, dass man viel zu lange einem sonntäglichen Salon-Pazifismus frönte, ohne jemals konkret werden zu müssen. Das ist jetzt vorbei. Wer seit Jahren konsequent die Abschaffung der Bundeswehr oder die Kündigung des Natovertrages in aller Öffentlichkeit angestrebt hat, mag morgen mit Nein stimmen. Alle anderen sollten sich nicht auf ein Gewissen berufen, dass mit Bundeswehr und Nato-Mitgliedschaft bisher sehr gut schlafen konnte.
Wer am Freitag Gerhard Schröder nicht das Vertrauen ausspricht, beendet eine politische Perspektive, die trotz der Kritik pazifistischer Koranschüler, immer noch besteht: die Chance auf eine ökologische und gewaltfreiere Ausrichtung der Politik. Wer dagegen für den Einsatz deutscher Soldaten stimmt, ist weder ein Militarist, noch verliert er deshalb das Recht, auf die Entwicklung der Situation Einfluss zu nehmen. Ganz im Gegenteil! Wer Ja sagt, darf auch die Amerikaner kritisieren, wenn sie bei der Bekämpfung des Terrorismus die falschen Mittel anwenden. Wer Ja sagt, unterwirft sich nicht der bedingunglosen Solidarität eines Gerhard Schröders, sondern übernimmt Verantwortung. Und wer Verantwortung trägt, kann auch seine Stimme gegen ungerechtfertigte Gewalt erheben.
Seien wir jedoch ehrlich. Niemand ist wirklich vorbereitet auf die neue politische Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland in einer weltpolitisch stark veränderten Situation spielen wird. Mit Ruhm bekleckert haben sich bisher weder die Grünen noch Gerhard Schröder, der mit dem Begriff der uneingeschränkten Solidarität ein Monstrum geschaffen hat, das sowohl Wort als auch Unwort des Jahres werden könnte. Und mit ihrer kritischen Solidarität, die fatal an den kritischen Dialog mit dem Iran erinnert, haben die Grünen einen Begriff in die Welt gesetzt, der dem Schröderschen Diktum schnell den Rang ablaufen könnte. Kritische Solidarität mit den USA – damit soll jetzt alles in Butter kommen? Sinnfälliger kann man die antiamerikanische Lebenslüge einiger Grüner kaum verpacken.
Wie gut, dass gerade in diesen Tagen in vielen Kinos die finale Version von ›Apokalypse Now‹ läuft. Irgendwie hat man diese GIs in Vietnam richtig lieb gewonnen, auf die man moralisch so schön herabsehen kann. Und als hätte er nur darauf gewartet, wieder zuschlagen zu können, bedient George Bush mit seinen Militärgerichten wieder rechtzeitig die finstersten USA-Klischees. – Na, dann wär ja alles in Butter. – Solingen den 15. November 2001