Karlspreis für den Euro
Friedensnobelpreis für den Pariser!
Der Karlspreisträger des nächsten Jahres ist kein Mann, keine Frau und auch kein Transsexueller, obwohl sich bestimmt einige von ihnen um Europa verdient gemacht haben. Statt eine Persönlichkeit oder wenigstens ein Lebewesen, wie z. B. die durch die europäische Landwirtschaft gequälten Kreaturen Schwein, Rind oder Huhn zu ehren, übergeben die Bürger der Stadt Aachen im nächsten Jahr die mit 5000 DM dotierte Karlsmedaille nebst Urkunde an eine Sache: den Euro.
Da kommen mir natürlich sofort hundert Fragen in den Sinn. Was wird der Euro wohl mit dem vielen Geld anfangen? Wird man ihm einen Scheck über 5000 DM übergeben? Wohl kaum, ist die Mark doch bald nichts mehr wert. Aber wie soll man dem Preisträger 2500mal sich selbst überreichen? Wird der Geehrte als Münze oder als Schein zur Preisverleihung erscheinen? In dem dezenten Blaugrau des 5-Euro-Scheines, dem aufreizenden Zinnoberrot des 10-Euro-Scheines oder dem optimistischen Beta-Carotin-Gelb des 50-Euro-Scheines wird er zweifelsohne Aufsehen unter den mausgrauen Honoratioren erregen.
Karl der Große verbeugt sich vor dem schnöden Mammon. Welch ein Gang nach Canossa! Ist dies nun die späte Revidierung eines romantischen Kaiserbildes? Oder sind dem Preiskomitee einfach in diesem Jahr die Persönlichkeiten ausgegangen? Bei einem Preis, der jedes Jahr vergeben wird, ist diese Gefahr nicht gerade klein. Auch der norwegische König kann morgen den Friedensnobelpreis nicht an eine Person übergeben, sondern diesen Kuss der ganzen Welt! an die Vereinten Nationen überreichen. Wenn man einer teleologischen Geschichtsauffassung zuneigt, könnte man meinen, dass der Friedensnobelpreis damit an seinen endgültigen Besitzer gekommen sei, denn über den Vereinten Nationen gibt es nichts mehr. Hat auch der Karlspreis seinen Irrweg durch die Hände seiner mehr oder weniger europäisch gesinnten Preisträger nun vollendet und kommt am Mammon gewordenen Ziel des europäischen Vereinigungsprozesses endlich zur Ruhe?
Der Euro als Vollendung Europas. Überrascht uns das? Schon die Wahl des Namens für die gemeinsame Währung warf ein zwiespältiges Licht auf die Idee Europa. Kein Land, kein Volk heißt wie sein Geld. Es gibt keine Dollarianer, keine Sterlinge, keine Yensinis. Es gibt keine United States of Dollar and Cent, kein Great Poundia und keine Bundesrepublik Markland. Nur die Europäer und Europa erscheinen bald als das Ergebnis einer Wortbildung aus dem Wortstamm ›Euro‹. Sind wir dann alle bloß noch Derivate einer Währungseinheit?
Dass Europa seine Identität in einer gemeinsamen Währung findet, darüber hinaus jedoch nichts gemeinsam hat, ist ein schwerer Schlag für alle Bildungsbürger, doch die Gestaltung der Euro-Geldscheine legt diesen Verdacht nahe. Die Scheine sehen aus, als habe man sich dem islamistischen Bilderverbot unterworfen. Nirgends ist das Gesicht eines bedeutenden Europäers zu erblicken: kein Dante, kein Shakespeare, kein Goethe, kein Aristoteles, kein Darwin, kein Einstein, kein da Vinci, kein Picasso, kein van Gogh, kein Verdi, kein Beethoven, keine Beatles, bloß leblose Steine und Stahl.
Was haben sich die drei geborenen Mitglieder, der Bürgermeister, der Domprobst und der Rektor, sowie die übrigen 14 gewählten oder entsandten Mitglieder des Karlspreisdirektoriums bei dieser Entscheidung wohl gedacht? Sind sie zu der Erkenntnis gelangt, dass die europäische Idee nicht mehr in Menschen lebt, sondern bloß noch in Verordnungen, Gesetzen und Zahlungsmitteln vegetiert? So wie das Friedensnobelpreiskomitee wohl erkannt hat, dass ein Einzelner mit dem Friedenschaffen überfordert ist?
Jedes Ding hat bekanntlich zwei Seiten, so auch der Euro. Als Münze hat er eine gemeinsame und eine nationale Seite. Es gibt acht Münzen und zwölf Teilnehmerstaaten, insgesamt werden am 1.1.2002 96 verschiedene Münzen in Umlauf gebracht. Da bin ich gespannt, wann die erste irische 1-Cent-Münze mit der schönen Harfe in meinem Geldbeutel klimpert.
Ist das 21. Jahrhundert das Zeitalter der Dinge, die wir mit Preisen ehren? Erhält die digitale Druckmaschine nächstes Jahr den Literaturnobelpreis? Oder der Synthesizer den Grammy? Dann muss der Friedensnobelpreis 2002 an den Pariser gehen! Denn er leistet mit seiner Geburtenkontrolle mehr für den Frieden in einer überbevölkerten Welt als die Vereinten Nationen mit ihren Resolutionen. – Solingen den 9. Dezember 2001