Michel Möllemann und die einsame Insel
Wenn zwei Showmaster sich öffentlich streiten, wer mehr Verantwortung am Untergang des Abendlandes trage, so möchte der unbeteiligte Zuschauer am liebsten beide in einen Sack stecken und kräftig mit dem Prügel draufhauen: den Falschen kann er kaum treffen. Wenn zwei Politiker, die einst in der gleichen christlichen Partei waren, sich streiten, wer von beiden der größenwahnsinnigere und eitlere Schuft sei, so kann man sie in besagten Sack leider nicht mehr stecken, da dieser schon voll ist. Doch um eine Antwort wird niemand verlegen sein.
Wenn man aber von einem bösen Geist gefragt würde, ob man lieber mit Michel Friedman oder mit Jürgen W. Möllemann seine Tage auf einer einsamen Insel beschließen möchte, so dürften die meisten wohl lieber freiwillig in den Sack mit den Showmastern und Politikern kriechen, nur um weder mit dem einen noch mit dem anderen Pfau eine Insel, und sei es auch die größte der Welt, teilen zu müssen, wenn Michel Friedman und Jürgen W. Möllemann nicht bereits in diesem Sack drinsteckten.
Nun sind die beiden nicht nur Showmaster, Politiker und auch sonst unangenehme Zeitgenossen, nein sie sind auch noch Funktionäre. Während Jürgen W. Möllemann laut Bundestagsauskunft bloß Vorsitzender des Aufsichtsrats vom 1. FC Schalke 04 und Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Beziehungen zwischen Deutschland und den ölfördernden Staaten ist, zählt man bei Michel Friedman gleich ein Dutzend Mitgliedschaften in überaus honorigen kulturellen, religiösen und politischen Institutionen. Das ist bei Politikern so üblich. Man hat daher häufig den Eindruck, sie seien mit dem Teufel im Bunde und könnten in sieben Aufsichtsräten gleichzeitig ihre Sitzungsgelder absitzen.
Während uns Jürgen W. erläutern könnte, was Abseits im Fußball bedeutet, erklärt uns Michel wer in der Politik im Abseits steht: Jürgen W., wer sonst! Nun wundert uns Letzteres nicht wirklich, weil Jürgen W. Möllemann irgendwann in seinem Leben wahrscheinlich an einer Tankstelle erkannt haben muss, dass Öl dicker ist als Blut oder gar Wein, sodass er sich frühzeitig für die Deutsch-Arabischen Beziehungen interessierte. Die Araber, die uns, säßen sie nicht auf dem Öl, ebenso brennend interessieren würden, wie die Pygmäen, mögen jedoch die Juden, insbesondere die Juden in Israel, ganz und gar nicht. Das traf sich gut, denn auch Jürgen W. Möllemann mag die Juden scheinbar nicht besonders, jedenfalls habe ich von ihm noch nie ein Wort des Bedauerns gehört, wenn ein Selbstmordattentäter in Israel wieder einmal unschuldige Zivilisten in den Tod gerissen oder verstümmelt hat.
Natürlich kann es sein, dass Jürgen W. Möllemann es sich bloß als Freund der Ölförderstaaten nicht leisten kann, Mitleid mit ermordeten Israelis zu zeigen. Denn als Deutscher ist er selbstverständlich von Geburt an Philosemit. Diese Liebe zu den Juden lässt ihn nicht ruhen, denjenigen zu tadeln, der seiner tiefen Einsicht nach für den Antisemitismus in Deutschland verantwortlich ist: Michel Friedman, wer sonst. Man spürt förmlich, wie aufopferungsvoll sich Jürgen W. Möllemann schützend vor die jüdischen Gemeinden Deutschlands wirft und uns mahnend anruft: Seht her! Es ist nur des Michels Schuld, dass es in Deutschland wieder so viele Antisemiten gibt. Doch aus purem Pflichtgefühl seiner Partei gegenüber tut er das nicht. Denn irgendwann in seinem Leben, vielleicht bei einer Bergwanderung mit Jörg Haider, muss er erkannt haben, dass die FDP nur dann auf 18 Prozent kommen kann, wenn sie die Stimmen der Antisemiten bekommt. Dies jedoch ist eine heikle Mission. Doch Jürgen W. wäre nicht Möllemann und Fallschirmspringer, wenn er vor solchen Herausforderungen kneifen würde.
Und als Fallschirmspringer hat er gelernt, bereits vor dem Sprung an die weiche Landung zu denken.
Daher nutzt Jürgen W. Möllemann die Gunst der Stunde. Die harte, unkluge und teilweise gesetzlose Politik der Israelis adelt bereits den Antisemitismus seiner ölfördernden Freunde. Die hierzulande lauter werdenden israelkritischen Stimmen provozieren die Juden in Deutschland zu ebenso lauter werdenden Solidaritätskundgebungen, sodass der gemeine deutsche Antisemit den Eindruck bekommen muss, die ganze Gesellschaft sei schon wieder von Juden durchrasst. Da fehlt zum Rechtsruck bloß noch ein Le Pen oder ein Haider, den es in diesem unseren Lande bisher nicht gab. Bis Jürgen W. Möllemann diese Marktlücke entdeckte und ausfüllte. Als PR-Profi orientierte er sich dabei an Haider, der die Antiatomkraftbewegung kaperte, um gegen Tschechien zu Felde zu ziehen. Möllemann kaperte Karsli und die linke Multikulti-Bewegung, um rechts die Stimmen der Antisemiten einzusammeln. Der Antisemit als Gutmensch, darauf wäre selbst Goebbels stolz gewesen!
Dem CDU-Politiker Michel Friedman kann es natürlich nicht recht sein, wenn die FDP im rechten Lager fischt, für das Stoiber den Angelschein besitzt. Doch was kann er dagegen tun? So gut wie nichts. Denn die paar Hamm-Brüchers, die es in dieser Republik noch gibt und die aus lauter Verzweiflung über den Rechtsruck in der FDP im September CDU wählen könnten, machen den Verlust am rechten Rand der CDU auch nicht annähernd wieder wett.
Doch die FDP wäre nicht die Spaßpartei, wenn sie nicht ganz schnell ihr letztes Sachthema wieder einpacken und augenzwinkernd zu verstehen gäbe, dass alles wieder in Ordnung sei. Karsli hat seinen Mitgliedsantrag zurückgezogen, darf aber weiterhin mit der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag am Projekt 18 mitarbeiten, Möllemann hat sein Gesicht gewahrt, Westerwelle hat die Rolle des Parteichefs gut gespielt und kann guten Gewissens zu Sharon reisen. Die Antisemiten in Deutschland und die ölfördernden Staaten dürften die Botschaft verstehen.
Wem wollen wir in dieser unappetitlichen Inszenierung also den Siegeslorbeer überreichen? Dem PR-Showmaster Möllemann, der im FDP-Internetforum fast schon für Pogromstimmung sorgte und den Antisemiten wieder eine politische Heimat ohne Schmuddelimage gegeben hat? Oder Michel Friedman, der ohne Pomade und bei abgeschalteten Kameras auf einer einsamen Insel vielleicht doch ein halbwegs erträglicher Robinson oder Freitag wäre?
Da wir uns Michel Friedman ohne Pomade und ohne Kameras nicht vorstellen können, neigt sich die Waage bedenklich zugunsten von Jürgen W. Möllemann, zumal dieser in seinem Leben wenigstens einmal eine wirklich gute Tat vollbracht hat. Jürgen W. Möllemann ist nämlich von Beruf Lehrer. Doch schon seit Jahrzehnten unterrichtet er nicht mehr. Dafür hat er unsere grenzenlose Dankbarkeit verdient. – Solingen den 22. Mai 2002