Das tabuisierte Amerika
Da hüpfte doch vor einigen Tagen das Tabubrecherlein der Frei Dümpelnden Partei wieder aus seinem westfälischen Sack und zeigte den Wählern, worin sich sein Klartext und sein Mut erschöpfen: in müden antisemitischen Ressentiments und außenpolitischen Großmaulereien. Dieses aufgewärmte Süppchen haute bloß Guidolein von seinem spießigen Plüschsofa. Auch Stoibers antiamerikanischen Ausfall nahm niemand ernst. Was aber passiert, wenn echte Tabus gebrochen werden, erfährt Herta Däubler-Gmelin zurzeit.
Der Wendehals ist ein Vogel, der es während der Wende in der DDR zwar nicht zum Vogel, aber immerhin zum Wort des Jahres brachte, denn mit dem Wendehals war die Geschmeidigkeit zahlreicher SED-Mitglieder und Blockflöten so treffend beschrieben, dass es gröberer Schimpfworte oder gar einer echten Revolution nicht bedurfte. Der Wendehals hat daher auch, und ich weiß in dieser Frage die gesamte deutsche Ornitologenschaft hinter mir, wahrlich den Friedensnobelpreis verdient, denn ohne die Wendehälse hätte man 1989 vielen SED-Mitgliedern, den informellen und hauptamtlichen Mitarbeitern der Stasi sowie ganz besonders den Blockflöten von CDU und FDP den Hals umdrehen müssen.
Seitdem Edmund Stoiber den Amerikanern bei einem Alleingang im Irak nicht mehr unter die Arme greifen will, liegt mir der Begriff Wendehals wieder auf der Zunge, doch er will nicht so recht heraus. Er bleibt im Halse stecken, denn ein Wendehals ist immerhin ein Lebewesen, das einen eigenen Stoffwechsel und eine gewisse Intelligenz sowie eine gehörige Portion freien Willen besitzt, sonst könnte er seinen Hals ja auch kaum vor den halsbrecherischen Gefahren wechselnder Winde in Sicherheit bringen. Nein Stoiber ist kein Wendehals. Er ist sehr viel eher ein flatterndes Wetterfähnlein. Nachdem er merkte, dass Schröders Weigerung, an den Feldzügen der USA im Irak teilzunehmen, der verfassungsändernden Mehrheit in Deutschland aus dem Herzen gesprochen war, drehte das Fähnlein Stoiber gleich ein paar Pirouetten zu viel um den Wettermast der Meinungsumfragen und machte Freund und Feind dabei ganz schwindlig.
Doch auch ein Wetterfähnchen kann Tabus brechen, wie man sieht, denn sein schnell wieder geradegebügelter antiamerikanischer Lapsus rüttelt am Natovertrag, den selbst die Grünen seit Jahren nicht mehr in Frage stellen. Doch da Stoiber wegen seiner Versprecher, die schon eines amerikanischen Präsidenten würdig sind, von niemandem so recht ernst genommen wird, hat er wegen seines Tabubruchs keine schlimmen Folgen zu gewärtigen.
Über Herta Däubler-Gmelin bricht dagegen ein Sturm amerikanischer Entrüstung los, weil sie ein anderes Tabu gebrochen hat. Sie hat die Lehre aus der Geschichte, dass innenpolitisch schwache Regime außenpolitisch oft besonders aggressiv auftreten, auch auf die US-Regierung angewendet. Dass sie einen Präsidenten, der ohne Osama Bin Laden wegen seiner Stoiberschen Versprecher bloß als Witzfigur Karriere machen würde, ausgerechnet mit Adolf Nazi verglich, einem mir unbekannten deutschen Politiker, ist sicher ungeschickt, da Hitler, den sie vielleicht meinte, innenpolitisch ziemlich sicher im Sattel saß, als er Polen überfiel.
Das ändert natürlich nichts daran, dass sich die Außenpolitik glänzend dazu eignet, von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Auch die durchtrainierten Amerikaner sind nicht in der Lage, ihre patridiotischen Veitstänze bis zum Ende der Präsidentschaft von George W. Bush durchzuhalten. Dem armen George W. bleibt also gar nichts anderes übrig, als die Amerikaner von dem innenpolitischen Scherbenhaufen abzulenken, auf dem er wie auf einem Feldherrenhügel thront.
Bush war so wütend über Herta Däubler-Gmelin, dass er sogar Condolezza Rice vor die Presse treten ließ, um dies zu verkünden. Besonders wütend echauffierte sich Rice darüber, dass die Justizministerin eines befreundeten Landes das amerikanische Rechtssystem für lausig hält und der Meinung ist, dass der Präsident wegen seiner Insidergeschäfte eigentlich hinter Gittern und nicht im Weißen Haus sitzen sollte. Das hat gesessen! Der Vergleich mit Hitler nimmt dieser vollen Breitseite leider die Spitze. Denn nun werden sich die von Worldcom und Enron betrogenen Amerikaner sicher nicht fragen, wer sie da eigentlich in einen Krieg führen will, sondern sich patridiotisch hinter ihm versammeln.
Wenn Condolezza Rice sagt, die Atmosphäre zwischen Deutschland und den USA sei vergiftet, so hat sie sicher Recht. Das ist aber auch kein Wunder, da wir Deutschen in dem Glauben erzogen worden sind, dass die Amerikaner die Good Guys sind. Bush dagegen ist das hässliche Amerika, das Amerika der Todesstrafe, der Rücksichtslosigkeit und der Bilanzbetrügereien. Aber Bush ist nicht das ganze Amerika! Es gibt auch noch die guten Amerikaner, die Bushs imperialistischen Krieg, wie es die Initiative ›Not in our name!‹ nennt, stoppen wollen. Und zu diesen Amerikanern hat nicht nur Herta Däubler-Gmelin sicher gerne ein gutes Verhältnis. Schließlich ist es ja wohl kein Tabubruch, die amerikanischen Werte auch in Deutschland hochzuhalten! Oder? – Solingen den 21. September 2002