Man wächst mit seinen Aufgaben
Endlich hat die CDU eine Aufgabe gefunden, die ihren intellektuellen Fähigkeiten und ihrer moralischen Integrität entspricht. Sie will einen Untersuchungsausschuss einrichten, um der Regierung Wahlbetrug nachzuweisen. Als Wahlbetrug bezeichnet man zwar gemeinhin die Behinderung von Wählern bei der Ausübung ihres Wahlrechts, die Fälschung von Stimmen oder Betrügereien bei der Auszählung. Also Dinge, die in Entwicklungsländern, in Weißrussland und in Florida geschehen. Eine böse Angelegenheit, gewiss, doch zumeist sind es eben Leute wie Saddam Hussein, die so etwas tun, um bei einer Wahlbeteiligung von 100 Prozent 100 Prozent aller Stimmen einzuheimsen.
Da Stoiber, der sich bekanntlich am Wahlabend zum Sieger ausrief, fest davon überzeugt ist, dass die Union die Wahl gewonnen hat, muss man wohl annehmen, dass die Kampa die Wahlen manipuliert hat. Und sie hat es so geschickt angestellt, dass das Wahlvolk selbst dem Wahlsieger Stoiber den Dolch in den Rücken gestoßen hat, weil es lieber den mickrigen Wahlversprechen der SPD als den sehr viel bombastischeren der Union geglaubt hat. Eine sehr dialektische Auffassung von Wahlbetrug, die aber von Angela Merkel und dem Lügen-Koch aus Hessen geteilt wird. Und so haben CSU und CDU einen Untersuchungsausschuss beantragt, der mit investigativen Mitteln und peinlichen Befragungen herausfinden soll, was jeder weiß: Politiker nehmen es vor einer Wahl mit der Wahrheit nicht allzu genau.
Alle politischen Kommentatoren fragen sich, was die Union mit diesem Untersuchungsausschuss eigentlich erreichen will. Die Wähler in Hessen, wo es Politiker gibt, die sogar nach einer Wahl lügen, und die Wähler in Niedersachsen werden sich kaum für etwas interessieren, was erstens die Spatzen von den Dächern pfeifen und zweitens im Februar kalter Kaffee ist.
Nun hat Angela Merkel unvorsichtigerweise angekündigt, der Lügenausschuss solle nicht zurück, sondern nach vorne schauen, damit sich eine Wahl wie 2002 nicht wiederholt. Es ist natürlich ihr gutes Recht dafür zu sorgen, dass das Volk gefälligst an der richtigen Stelle sein Kreuzchen macht, damit ein Wahlverlierer Stoiber oder eine Wahlverliererin Merkel sich nicht wieder lächerlich machen, wenn sie sich zum Sieger ausrufen.
Alle Kommentatoren warnen jedoch die CDU davor, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte und die gesammelten Wahlversprechen der CDU auf den Tisch im Untersuchungsausschuss kommen. Das hätte dann böse Folgen für Roland Koch. Natürlich ist es ihm hoch anzurechnen, wenn er den Hessen reinen Wein über die hessischen Staatsfinanzen einschenkt. Viel interessanter wäre jedoch die Wahrheit über die Finanzen der CDU. Und hier nehmen es die ehrlichen CDU-Politiker bekanntlich mit der Wahrheit nicht so genau.
Die Kommentatoren liegen aber alle falsch. CDU und CSU verfolgen in keinster Weise eigennützige Ziele mit ihrem Lügenausschuss. Edmund und Angela wissen auch sehr wohl, dass der Unterhaltungswert des Ausschusses gleich Null ist. Vielmehr hat, wie Angela Merkel in einer Pressekonferenz kürzlich offen kundtat, die CDU mittlerweile gemerkt, dass sie die Wahlen nicht gewonnen hat. Nun habe sie die Oppositionsrolle angenommen und mit dem Lügenausschuss eine Aufgabe gefunden, der sie gewachsen ist, denn mit beidem, mit den Lügen und den Ausschüssen kennt sich die CDU bekanntlich bestens aus. Zwar saß sie bisher zumeist auf der Anklagebank, doch man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.
Während also die Grünen strukturelle Reformen konzipieren, die von der SPD dann im Schulterschluss mit den Gewerkschaften und anderen Lobbyverbänden solange gedreht und gewendet werden, bis bloß ein stümperhaftes Herumdoktern übrig bleibt, und Legionen kluger Menschen sich in diversen Kommissionen ihre Köpfe zerbrechen, werden CDU und CSU künftig durch ihre verantwortungsvolle Oppositionsrolle im Lügenausschuss völlig ausgefüllt sein. Endlich hat die CDU ein Betätigungsfeld gefunden, in dem sie keinen großen Schaden anrichten kann.
Oder etwa doch? Immerhin wird ein wichtiges parlamentarisches Instrument durch den CDU-Lügenausschuss wahrscheinlich endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben. Und das hat den für die CDU vorteilhaften Nebeneffekt, dass sie ab 2006 um so ungestörter regieren kann. Der Lügenausschuss diente so langfristig gesehen der sorgfältigen und rechtzeitigen Vorbereitung der Regierungsübernahme und vor allem dem sicheren Transport kleiner, schmucker Geldkoffer. – Solingen den 3. Dezember 2002