Acht Marionetten
Das außenpolitische Theater Europas
Wir sollten uns nicht zu sehr über die acht europäischen Gliederpuppen aufregen, die an Deutschland, Frankreich und der EU-Präsidentschaft Griechenlands vorbei, eine Ergebenheitsadresse an den Imperator in Washington gesendet haben. Deutschland war vor einigen Jahren auch ein ganz vorzüglicher Speichellecker, als es darum ging, Mittelstreckenraketen gegen den Warschauer Pakt in Stellung zu bringen oder die Wiedervereinigung zu vollziehen.
Und es gibt ja auch laute Stimmen aus der CDU, die dafür plädieren, aus Dankbarkeit gegenüber der Familie Bush und der reizenden Condolezza Rice, die gegen den Widerstand des kleinen französischen Napoleons die deutsche Einheit unterstützten, zehn, zwanzig oder einhundert Tausend tote irakische Zivilisten in Kauf zu nehmen. Dankbarkeit ist sicher ein ehrbares Gefühl. Doch man sollte es nicht auf dem Rücken Unbeteiligter ausleben.
Dass Tony Blair, der Gouverneur des US-Bundesstaates Britannien, den Bushkrieg unterstützt, wissen die alten Europäer seit langem. Dass Berlusconi sich in der ehrenwerten Gesellschaft Bushs wohlfühlt, ist keine Überraschung. Auch von der ausländerfeindlichen dänischen Regierung erwartet niemand europäische Solidarität. Und dass die osteuropäischen Musterschüler Polen, Ungarn und Tschechien ihre Neigung zum Kotau nach einem knappen Dutzend Jahren in Freiheit noch nicht verloren haben, sollten wir Deutsche nicht so eng sehen. Dass aber Spanien und Portugal in Europa lediglich eine Agrarsubventionen ausscheidende Kuh sehen, die man prächtig melken kann, überrascht dann doch. Ein klein wenig. Vielleicht ist das die Rache für die Besetzung Mallorcas durch deutsche Touristen.
Auf der anderen Seite sollten wir aber auch nicht den Schulterschluss zwischen Berlin und Paris überbewerten. Sobald der Claim für Elf Aquitaine groß genug ist, werden die Franzosen im Sicherheitsrat für den Krieg votieren, fürchten sie doch hauptsächlich um ihren Einfluss im Irak, sollte Bush das Regime Saddams stürzen. Der Wahlpazifist Schröder steht ziemlich allein da, was aber keineswegs eine Schande ist. Immerhin geht seine uneingeschränkte Solidarität mit den USA so weit, dass er mit allen Mitteln verhindern will, dass Bush sein Volk und vermutlich die übrige Welt gleich mit ins Verderben führt.
Man muss schon ein besonders kaltschnäuziger Antiamerikaner sein, um Bushs Politik zu unterstützen. Denn Bush ist drauf und dran, die Amerikaner zum meist gehassten Volk auf der ganzen Welt zu machen. Mit seiner imperialen Arroganz schafft sich Bush an allen Enden seines Weltreichs genug Feinde für die nächsten 100 Jahre.
Wenn die Amerikaner die Europäer als EUnuchen verspotten, so ist das, finde ich, eine äußerst schmeichelhafte Umschreibung für hölzerne Gliederpuppen, die in der Hand des Puppenspielers einen proamerikanischen Totentanz aufführen. Wer dieser Schar von Holzköpfen Leben einhauchen will, macht sich lächerlich, wie Solana, dessen Premier die Unterschriftensammlung für den Krieg initiiert hat; oder wie Schröder, der glaubt, mit Frankreich irgendetwas in der Welt bewegen zu können.
Da ist der gelernte Außenpolitiker Joschka Fischer schon weiter. Er wiederholt gebetsmühlenartig, dass bloß noch Saddam Hussein einen Krieg vermeiden kann. Dies ist jedoch kein Appell, sondern eine Feststellung. Da die Amerikaner den Krieg um jeden Preis wollen, bleibt nur noch Saddam Hussein übrig, der ihn durch eine freiwillige Selbstentleibung noch verhindern könnte. Diesen Gefallen wird er uns und seinem Volk aber nicht tun.
Warum Bush den Krieg so dringend will wie ein verzogener Bub ein überteuertes Weihnachtsgeschenk, ist übrigens sehr umstritten. Einige Leute, wie z. B. ein Leitartikler in der ZEIT behaupten, es ginge gar nicht ums Öl. Amerika wolle vielmehr den arabischen Raum demokratisieren. Das würde jedoch bedeuten, dass wir es in Washington mit einem Phantasten und gefährlichen Eiferer zu tun haben, wenn nicht gar mit einem Psychopathen. Da ist mir die Versagertheorie lieber. Die besagt nämlich, dass Bush jun. die böse Schlappe seines Vaters ausbügeln will. In solchen krankhaften Vater-Sohn-Geschichten sind die Amerikaner ja bekanntlich ganz groß. Und weil George W. Bush unter allen US-Präsidenten der größte Versager ist, immerhin hat er Osama bin Laden in Afghanistan entwischen lassen und damit den gefährlichsten Feind Amerikas im islamischen Raum zum größten Superhelden aller Zeiten gemacht, braucht er ein anderes Opfer, an dem er seine Wut abreagieren kann. Und wer eignete sich da besser als der gute alte Familienfeind Saddam Hussein, der schon seinem Vater einen dicken Stinkenden gezeigt hat. Tote Zivilisten für einen Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern: damit würde George W. Bush als Führer und Imperator wenigstens nicht ganz aus der Art schlagen. Und verständlich ist das ja. Wer möchte schon gerne in den Geschichtsbüchern als ein Präsident gewürdigt werden, der durch eine suspekte Wahl an die Macht kam, von den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon völlig überrascht wurde und das Land in eine lange Rezession führte?
Die letzte Lesart birgt auch ein Stück Hoffnung. Denn wenn Bush den Kopf Husseins auf einen Pfosten seiner Ranch stecken kann, wird die Wut des Versagers vielleicht verflogen sein. Und wer die Welt vor der größten Bedrohung für den Weltfrieden und vor der Inkarnation des Bösen gerettet hat, der kann dann endlich Business as usual betreiben. Wenigstens bis bin Laden wieder zuschlägt oder Nordkorea seine Atombomben testet. – Solingen den 31. Januar 2003