Die Religion des Rektums
Die ständige Vertretung Europas im Rektum des amerikanischen Gefreiten ist bereit, vor seinen Schöpfer zu treten.
»Ich bin bereit, vor meinen Schöpfer zu treten und mich für diejenigen zu verantworten, die als Ergebnis meiner Entscheidungen gestorben sind«, sagte Blair dem Londoner Times Magazine. Scheinbar müssen wir also bis zum Jüngsten Gerichtstag warten, bevor sich der Gouverneur des US-Bundesstaats Britannien für seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak vor irgendeinem Gericht verantworten muss. Blair liebt offensichtlich die Übertreibung, oder er flüchtet sich präventiv schon einmal gleich in eine höhere Instanz, falls es dennoch einmal ein UN-Tribunal hier unten im Diesseits geben sollte.
Vielleicht aber tun wir ihm völlig Unrecht und der Mann glaubt tatsächlich sein eigenes dummes Geschwätz. Angeblich wollte er die Rede an die Nation, also die Rede an die US-Bürger, die auf der Amerika vorgelagerten Insel Britannien wohnen, mit den Worten »God bless you!« beenden. Seine Berater mussten alle Hebel ihrer Überzeugungskraft in Bewegung setzen, um ihn davon abzuhalten. Aber sie haben ihn wohl überzeugt, denn Blair beendete seine Kriegserklärung mit einem lapidaren ›Thank you‹.
Dabei wollte Blair seine Soldaten bloß ihr schwieriges Geschäft etwas leichter machen, denn immerhin tötet es sich im Namen Gottes sehr viel bequemer als im Namen von British Petroleum. Man glaubt zwar hierzulande gemeinhin, dass es sich leichter stirbt, wenn man seine Seele in die Hand Gottes beruft, doch in Wirklichkeit hat bloß der gläubige Mörder einen Vorteil von seinem Glauben. Denn der Ermordete ist mit und ohne Gott am Schluss immer gleich tot, der Mörder aber, der im Auftrage des Herrn unterwegs war, kann hinterher mit ruhigem Gewissen weiterleben. Und Tony Blair scheint einen guten Schlaf zu haben, wenn er behauptet, jederzeit bereit zu sein, aus dem Rektum des amerikanischen Gefreiten herauszukriechen, um vor seinen Schöpfer zu treten, welcher Idiot das auch immer gewesen sein mag.
Aber nicht nur Blair, auch sein spiritus rektum liebt die großen Auftritte. Jedem Lateinlehrer, der seinen Schülern seinen Cäsar um die Ohren haut, müssten eigentlich Tränen der Rührung in die Augen steigen. Da reitet der amerikanische Imperator wie weiland der alte Julius auf seinem Streitross an der Spitze eines gigantischen maritimen Triumphzugs, um den versammelten Plebejern die Beute seines letzten Feldzugs zu präsentierten. Wer hätte dem kleinen Gefreiten, der sich vor dem Wehrdienst in Vietnam herumgedrückt hat, eine solche Show zugetraut? Wohl jeder, der weiß, dass gerade Versager immer wieder die ganz große Geste brauchen, um die Stimme in ihrem Inneren zu übertönen, die ihnen sagt, dass kein Lorbeer ihnen je die Gewissheit nehmen wird, das zu sein, was sie immer waren: Versager.
Wir dürfen also gespannt sein, was sich der würdige Nachfolger des Gefreiten Hitler und des Proleten Stalin für seinen nächsten Wahlkampf ausdenken wird. Hitler hatte seine Leni, Stalin seine Paraden und Bush hat Fox, einen Fernsehsender, der unter Journalismus die Fortsetzung des Krieges mit allen Mitteln versteht.
Journalisten sind potenzielle Mörder: das ist die eigentliche Erkenntnis des Irakkrieges. Statt den Wehrdienst, sollten Pazifisten heutzutage eine Journalistenausbildung verweigern, zumindest in den USA, falls sie keine gläubigen Christen sind, die sich im Namen des Herrn in die Kriegsmaschinerie einbetten lassen.
Wenn die Götter ins Spiel kommen, das wissen wir seit Homer, sollte der Mensch in Deckung gehen, auch wenn das im Zeitalter der Clusterbomben ein naives Unterfangen ist. Und die Götter sind trotz Aufklärung wieder so richtig jung und streitlustig geworden. Tony Blair lässt im Namen Gottes töten, Bush ist sogar die rechte und die linke Hand Gottes vereint in einem bekehrten Alkoholiker. Was ist schon ein Whiskey-Rausch neben einem echten Blutrausch! Und während die Islamisten im Großauftrag Gottes morden, bringen die Israelis alle um, die ihnen das Lehen streitig machen, das ihnen ein Gott persönlich versprochen hat. Nur der Papst, dieser alte Fanatiker, sitzt friedlich in Rom oder einem Flugzeug und ächtet alle, die den Namen Gottes für ihre Verbrechen missbrauchen. Und wir, die wir in keinem Rektum eine ständige Vertretung einrichten wollen, sitzen zwischen allen Kloaken dieser Welt und denken: Die beste aller Welten wäre diese Welt, wenn alle, die bereit sind, vor ihren Schöpfer zu treten, dies endlich tun würden. – Solingen den 3. Mai 2003