Getrübte Schadenfreude
Natürlich wussten wir von Anfang an, dass die unbeschwerte Schadenfreude über den Fall des Großinquisitors nicht lange anhalten konnte. Denn Michel Friedman war eben nicht einfach nur ein TV-Moderator, der, wie auf der Vorsicht-Friedman-Homepage zu lesen ist, »mit pointierten Fragen die Widersprüche und die Heuchelei aufdecken will, die sich hinter den Erklärungen der Politiker verbergen«. Nein, Michel Friedman ist auch noch Jude und so wird unsere helle Schadenfreude zu einem düsteren Politikum.
Ich bin weit davon entfernt, Gemütsregungen wie Neid und Schadenfreude als wünschenswerte Eigenschaften des postmodernen Menschen zu bezeichnen, doch die beiden Untugenden zählen zweifelsohne zu den Schwächen des kleinen Mannes, der nicht nur in unseren Tagen ansonsten nicht viel zu lachen hätte, wenn die Beneidenswerten in dieser Gesellschaft nicht auch ab und zu stolpern und auf die Nase fallen würden. Aber war es nicht auch die Schadenfreude, die Friedmans Sendungen so beliebt gemacht hat? Die Schadenfreude über einen Politiker, den man um seine Diäten beneidet und der von Friedman mit sophistischer Akrobatik und plumper Überrumpelungstechnik in die Ecke gedrängt wurde? Michel Friedman hat die Schadenfreude des kleinen Intellektuellen bedient, so wie Sendungen mit dem Titel ›Die dümmsten Verbrecher der Welt‹ die Schadenfreude von Bärbel Schäfers Zuschauern bedienen. Niemand würde uns also wegen unserer unschönen Schadenfreude tadeln, da Michel Friedman von ihr gelebt hat wie kaum ein anderer Fernsehmoderator. Niemand würde uns tadeln, wenn, ja wenn das Opfer unserer Schadenfreude kein Jude wäre.
Der erste, der uns den Spaß verdorben hat, war dieser Trauerkloß von Friedrich Merz, der auf Friedman angesprochen zunächst betonte, dass dieser gar kein CDU-Politiker, sondern bloß einfaches CDU-Mitglied sei, um sich dann mit bekümmerten Sorgenfalten auf seiner gedankenfreien Stirn Sorgen um die jüdische Gemeinde zu machen: »Denn das, was da an Sprüchen dann unterwegs ist, wo sich dann einige Leute in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen, das schadet der Sache viel mehr als der Person.« Dieser Satz hat mich doch sehr überrascht. Herr Merz muss da einem seltsamen Volk aufs Maul geschaut haben. Ob vielleicht im CDU-Vorstand solche Sprüche unterwegs waren? Oder haben sich die Stammtischgenossen aus dem Sauerland bei Merz gemeldet und verbale Kracher losgelassen wie: »Da sieht man es mal wieder, die selbstgerecht moralischen Juden sind in Wirklichkeit alle koksende, geile Böcke, die sich die Nutten auf dem Silbertablett präsentieren lassen.« Vielleicht sollte Friedrich Merz statt sich schützend vor die jüdische Gemeinde zu stellen, lieber die Gesellschaft wechseln, in der er verkehrt und in der scheinbar die antisemitischen Sprüche nur so in der Luft hängen, um sich in Windeseile auf jedes scheinbar bestätigte Vorurteil zu stürzen.
In unsere Suppe der Schadenfreude haben jedoch auch andere Leute gespuckt. So z. B. alle, die sich gedrängt fühlen, einen rechtsstaatlichen Grundsatz herunterzuleiern. So schien es z. B. unsere Justizministerin Brigitte Zypries (ja ich weiß auch nicht, wie sie aussieht) für angebracht zu halten, ihren Namen im Volk ein wenig bekannter zu machen, indem sie sagte: »Zunächst gilt für Michel Friedman, wie für jeden anderen die Unschuldsvermutung, und man muss erst mal sehen, was bei den Ermittlungen herauskommt.« Sollte Friedman lediglich selbst kleine Mengen genommen haben, werde strafrechtlich »nicht viel bei rauskommen.« Wir sind natürlich unendlich dankbar, wenn die Justizministerin sich herablässt, uns die Grundsätze modernen Rechts beizubringen. Sollen wir, das schadenfrohe Volk, nun so tun, als ob uns diese Tatsachen unbekannt gewesen wären? Nein, wir tun nicht so. Und es überrascht uns auch nicht, dass Michel Friedman die Berliner Staatsanwaltschaft präventiv auf Schadenersatz verklagt, und wir betonen, dass uns dies nicht etwa deshalb nicht überrascht, weil Friedman Jude ist, sondern weil er nun einmal als Anwalt so gestrickt ist.
Die Zahl derjenigen, die glauben, sich schützend vor Friedman und die jüdische Gemeinde stellen zu müssen, wird von Tag zu Tag größer. So sagte Claudia Roth, die ihre Rente zurzeit als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung verdient, sie habe »das Gefühl, dass manche die Vorwürfe zu einer Abrechnung mit dem Judentum nützen. Sie wollen mit Friedman die Juden auf die Anklagebank setzen. Das darf nicht geschehen.« Von welchen Personen, die nicht sowieso jede Gelegenheit nutzen, um sich ihre antisemitischen Vorurteile bestätigen zu lassen, spricht diese Frau eigentlich? Dass Claudia Roth mittlerweile in den gleichen Kreisen verkehrt wie Friedrich Merz war mir völlig neu.
Eine obskure Stellungnahme gab auch Michael Naumann, der ehemalige Kulturstaatsminister ab, der seine Rente zurzeit gemeinsam mit Helmut Schmidt als ZEIT-Herausgeber verdient. Er sagte, es gäbe keine Rechtsgrundlage, Friedman die Moderation seiner Talkshow zu entziehen. Dass Moderatoren im Fernsehen nur noch aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung gefeuert werden dürfen, ist mit Sicherheit die beste Nachricht der Woche; wenigstens für TV-Moderatoren, die bisher jeden Tag mit panischem Blick auf ihre Einschaltquoten starrten. Dass Moderatoren bei sinkenden Zuschauerzahlen sich nie länger als ein paar Wochen auf ihrem Schleudersitz halten können, gehört der Vergangenheit an. Vielleicht sollten alle Moderatoren, die wegen schlechter Quoten gefeuert wurden, jetzt vors Arbeitsgericht gehen und auf Wiedereinsetzung in ihre Sendung klagen. Oder will Naumann etwa das antisemitische Vorurteil fördern, dass aufgrund der besonderen historischen Verantwortung der Deutschen für Juden andere Gesetze gelten als beispielsweise für Ulla Kock am Brink, die bloß deshalb aus dem Fernsehen geflogen ist, weil sie der Diva Christiansen den Mann ausgespannt haben soll?
Auch Daniel Cohn-Bendit wurde die Schadenfreude verdorben, da ihm als Jude natürlich ein Interview zum Thema Friedman nicht erspart geblieben ist. Und da musste er denn betonen, dass viele Künstler und Intellektuelle gekokst hätten und dass viele Männer die Dienstleistungen einer Prostituierten in Anspruch nähmen, weshalb ihm die Aufregung um Friedman nicht verständlich ist, außer man würde an Juden andere Maßstäbe anlegen als an andere. Der Fall Daum hat jedoch gezeigt, dass man die gleichen Maßstäbe auch an einen nicht jüdischen Fußballtrainer anlegt.
Mit Sicherheit gab es viele Künstler und Intellektuelle, die Drogen konsumiert haben, aber ist Michel Friedman nun ein Künstler oder ein Intellektueller? Beides will nicht so recht auf Paolo Pinkel passen. Denn Fassbinder und all die anderen Künstler und Intellektuellen haben doch stets unter eigenem Namen gekokst.
Doch Daniel Cohn-Bendit hat auch noch einen interessanten Satz geäußert. Michel Friedman habe bei aller Aufdringlichkeit nie das Privatleben seiner Interviewgäste hervorgezogen. Und insofern ginge das Privatleben Michel Friedmans niemanden etwas an. Das wird all diejenigen freuen, die schon seit Jahren die Einstellungspraxis gewisser Großkonzerne kritisieren, die alle Bewerber einem Drogentest unterziehen. Man muss nicht dem britischen Königshaus angehören, um zu wissen, dass das Privatleben im Zeitalter der Globalisierung, wo Konzerninteressen allen anderen Interessen vorgehen, alles andere als privat ist. Wenn der Arbeiter bei Opel, den Dany seinerzeit gemeinsam mit Joschka zur Weltrevolution bekehren wollte, sich das Vorrecht der Künstler und Intellektuellen nähme, und sich in der Mittagspause mit einer Prise Schnee zu verstärkten Akkordbemühungen motivierte und dabei erwischt würde, könnte er postwendend seine Papiere abholen. Und nun soll dieser Arbeiter die Bildzeitung schamhaft zuklappen, wenn dort ein Christoph Daum oder Michel Friedman vorgeführt wird?
Natürlich ist das alles verlogen, aber gottseidank ist unsere Gesellschaft nicht halb so verlogen wie die amerikanische, wo die Moralhüter die Ächtung eines Hollywood-Schauspielers fordern, weil dieser sich eine Wasserpfeife gekauft hat.
Vor allem sollten wir endlich mit dem verlogenen Missverständnis aufräumen, dass Michel Friedman die Verlogenheit der Politiker bekämpft habe. Alles was er getan hat, war das Vorurteil seiner Zuschauer zu bedienen, dass alle Politiker in unterschiedlichem Maße Heuchler oder Lügner sind. Dabei hat er immer das denunziert, worin Politik eigentlich besteht: das ›Ja, aber‹ oder das ›Nein, aber‹. In der Politik gibt es nun einmal kein biblisches Jaja oder Neinnein. Doch genau das wollte Friedman seinen Gästen mit seiner sophistischen Rhetorik entlocken, um ihnen dann triumphierend das Aber vorzuhalten und sie so als Lügner oder Heuchler bloßzustellen. Das jedoch ist keine moralische Aufklärungsarbeit! Und deshalb steht nun auch kein Moralist auf der Anklagebank einer verlogenen Öffentlichkeit, sondern ein Provokateur, der bloß deshalb provoziert, um zu imponieren.
Und wir geben gerne zu, dass er uns mächtig imponiert: mit seiner Sophistik, seiner Klage gegen die Berliner Staatsanwaltschaft und mit seinen Huren auf dem Silbertablett. Um so ungestörter möchten wir Jude hin, Jude her die Schadenfreude genießen: im Namen der Normalität! – Solingen den 22. Juni 2003