Man spricht Deutsch
Neulich schickte Osama bin Laden wieder eins seiner berüchtigten Bulletins an seinen Haussender Al Dschasira, in dem er den »Nachbarn nördlich des Mittelmeers« unter der Bedingung, dass sie ihre Truppen aus allen islamischen Ländern zurückziehen, einen Waffenstillstand anbot. In diesem Kassiber zeigte sich der Alte vom Berg zwar nicht als schöner, aber auch nicht als ungebildeter Wilder, sondern als Schöngeist, der die Sprache der Dichter und Denker zu schätzen weiß.
Denn der selbst ernannte Führer der islamischen Welt richtete seine Schalmeienklänge diesmal nicht nur in Arabisch an die an seinen Lippen hängende Welt, sondern fügte der Tonbandnachricht auf Video eine Powerpoint-Präsentation in Deutsch und Englisch und zwar genau in dieser Reihenfolge bei.
Dass Islamisten Deutsch sprechen, ist nun ganz und gar nicht verwunderlich, waren doch einige der Terroristen vom 11. September Söhne reicher Moslems, die in Deutschland studiert haben. Und da von den 3 Millionen Moslems, die in unserem Lande leben, zwar Zehntausende gegen das Kopftuchverbot an deutschen Schulen auf die Straße gehen, aber bisher kaum einer gegen den islamischen Terror demonstriert hat, muss man wohl davon ausgehen, dass bin Laden nicht lange suchen muss, um sprachkundige Dolmetscher für seine PR-Abteilung zu rekrutieren.
Was würde wohl der Dichter des west-östlichen Divans zu der Blüte sagen, zu der die deutsche Sprache in der islamischen Welt gelangt ist? Und zu welch lichten Aquarellen fühlte sich wohl ein Klee, ein Macke oder ein Moilliet inspiriert, reisten sie heute in den Orient, wo islamische Terroristen in ihrem heldenhaften Kampf gegen »Affen« und »Schweine«, wie sie Ungläubige und Juden für gewöhnlich nennen, blindlings alle ermorden, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Wobei man mittlerweile nicht einmal mehr nach Nordafrika, Israel oder in den Irak reisen muss, um 1001 Nacht mit einem gewissen Nervenkitzel zu lesen. In Spanien ist dies nun auch möglich.
Die Anschläge von Madrid haben nicht nur einer Regierung den Wahlsieg gekostet, die wie islamische Terroristen aus Toten politisches Kapital schlagen wollte, sie dürften auch einen Schlussstrich unter 200 Jahre verträumten Orientalismus in der europäischen Kunst gezogen haben.
Nun haben zwar die Deutschen den Orient weit weniger verklärt als andere, ein französischer Soziologe sieht sogar bereits das Zeitalter des Postislamismus heraufziehen, aber trotzdem leben in Deutschland sicher noch genügend Abderiten, die glauben, der Alte vom Berg hätte sein Friedensangebot direkt aus Kants ewigem Frieden abgeschrieben. Ja, sie betrachten bin Ladens Videobotschaft wahrscheinlich als einen Teil des so genannten Dialogs der Religionen!
Worüber man bei diesem Dialog allerdings spricht, ist mehr als rätselhaft. Jedenfalls allen Außenstehenden, die zwar Lessings Ringparabel ganz nett finden, aber prinzipiell an gar keinen Gott glauben und weder von Juden, noch von Christen und schon gar nicht von Islamisten gezwungen werden wollen, einen der drei Exklusivgötter todesverachtend zu verehren.
Der Krieg ist bekanntlich der Vater vieler Dinge und so könnte auch der islamische Terror ungewollt Vater werden und Europa zu sich selbst bringen. Denn vor dem Hintergrund religiösen Terrors auf islamischer und christlichen Fundamentalismus auf US-amerikanischer Seite hebt sich die einzigartige Kulturleistung Europas immer deutlicher ab: eine gesunde Portion Atheismus mit viel sokratischem Skeptizismus. Diese Errungenschaften sollten wir verteidigen, auch wenn im Schaufenster von Al Qaidas Giftküche seit kurzem ein Schild mit der Aufschrift »Man spricht Deutsch« hängt. – Solingen den 21. April 2004