Festsau im Swingerclub oder: unamerikanisches Verhalten
Die meisten Satiriker überziehen nur deshalb ungemein, weil sie insgeheim hoffen, die Wirklichkeit würde sie endlich einmal Lügen strafen. Das tut sie jedoch bekanntlich nie. Deshalb unterscheiden sich die guten von den weniger guten Satiriker nur dadurch, dass Erstere von der Wirklichkeit später eingeholt werden.
Zu diesen besseren Satirikern zählt zum Beispiel Wolfgang Menge, dessen Millionenspiel alle zehn Jahre auf einem immer späteren Sendeplatz wiederholt werden muss, weil es immer echter wirkt und zur besten Sendezeit ausgestrahlt wahrscheinlich eine kollektive Menschenjagd auslösen würde.
Das Erfolgsrezept Wolfgang Menges ist ganz einfach. Er hat sich als Satiriker nie mit den Amerikanern beschäftigt. Amerikaner kann man nicht überzeichnen. Die Hoffnung, von der Wirklichkeit Lügen gestraft zu werden, ist einfach zu klein.
Wenn man sich also nicht satirisch mit ihnen auseinander setzen kann, muss man es wohl auf ernsthafte Weise tun. Was ich hiermit ernsthaft versuchen will. Der amerikanische Präsident nannte die Misshandlung von irakischen Gefangenen durch amerikanische Soldaten, Geheimdienstler und Angestellte privater Sicherheitsunternehmen unamerikanisches Verhalten. Jeder, der die Geschichte Amerikas kennt, fragt sich natürlich sofort, was er damit gemeint haben könnte. Die Ausrottung der amerikanischen Urbevölkerung, dieses Gemeinschaft stiftende, weil gemeinschaftlich begangene Urverbrechen der amerikanischen Nation, die Sklaverei, Vietnam und Guantanamo: die amerikanische Geschichte als friedlich zu beschreiben fällt auch bei bestem Willem schwer, sodass man das typisch Amerikanische vermutlich als den libidinös ungehemmten Umgang mit Waffen bezeichnen muss. Dass die Amerikaner überhaupt Gefangene machen, ist schon ein Zugeständnis an die Humanität. Und im Grunde behandeln die Amerikaner ihre Gefangenen auch überaus menschlich, ja sogar herrenmenschlich. Bush kann also mit »unamerikanisch« nicht die Anwendung von Gewalt gemeint haben. Betrachtet man die aktuellen Kinoplakate aus Hollywood, so ist die höchst offizielle Botschaft Amerikas an die Welt, also in diesem Fall an den Betrachter der Plakate: wir schlagen, schießen und bomben alles kurz und klein, was sich uns in den Weg stellt. Was mag Bush also mit »unamerikanisch« gemeint haben?
Des Rätsels Lösung befindet sich unter dem abreißbaren BH von Frau Jackson, der in den USA ebenso viel Empörung hervorgerufen hat wie die Folterbilder in der übrigen Welt. Für Leser, die weder amerikanische Zeitungen, noch Boulevardblätter lesen, sei hier der Skandal kurz erläutert. In der Halbzeitpause des Super-Bowl-Endspiels gab Frau Jackson gemeinsam mit Herrn Timberlake eine Gesangseinlage. Kurz vor dem Schlussakkord riss Herr Timberlake so geschickt an Frau Jacksons Mieder, dass ein Schälchen ihres futuristischen BHs abriss und alle Amerikaner, die mit dem Pinkeln bereits fertig waren, Frau Jacksons nackte Brust für einige Sekunden sehen konnten. Natürlich wurde die Szene später für all diejenigen, die noch nicht vom Klo runter waren, mehrfach wiederholt, sodass man davon ausgehen kann, dass alle amerikanischen Mütter mit einem Aufschrei der Entrüstung ihren Töchtern versucht haben dürften, die Augen zuzuhalten, um die Unschuld ihrer fettleibigen Hormonversuche zu schützen. Unnötig zu erwähnen, dass Frau Jackson nur knapp einer Haftstrafe entkommen konnte und zukünftig alle Großveranstaltungen zeitlich versetzt ausgestrahlt werden, um jederzeit eine angemessene Kleiderordnung garantieren zu können.
Nun wird klar, was Bush mit unamerikanisch gemeint hat. Es sind die entblößten männlichen Geschlechtsteile, die auf den Fotos aus Abu Ghraib zu sehen sind. Sie erinnern ihn an Frau Jacksons Brust. Und in der Tat liegt hier der Hund begraben.
Wenn man sich die Bilder aus Abu Ghraib so anschaut, fühlt man sich in den Swingerclub einer amerikanischen Kleinstadt versetzt, in dem kleine Arschgesichter Pyramiden aus nackten Leibern bauen, weil sie das irgendwo im Internet mal gesehen haben. Das nannte Junior mit Recht unamerikanisch, denn ein echter Amerikaner fickt ausschließlich in der Missionarsstellung! Und sollte ihn die Lust anwandeln, es einmal anders herum zu probieren, so sollte er sich dabei tunlichst nicht fotografieren lassen. Bumsfeld, der heimliche Freigeist in der amerikanischen Regierung, hat weniger Gottesfurcht als Bush und darum mehr Verständnis für die natürlichen Triebregungen des Durchschnittsamerikaners. Deshalb nannte er das Vorgehen seiner Soldaten auch undiszipliniert, schließlich ist die Benutzung einer Digitalkamera in US-Gefängnissen aus gutem Grund verboten. Die kleinen Arschgesichter in den Lagern auf Kuba zum Beispiel haben ihre Swingerclub-Events in der Guantanamo Bay noch nicht fotografiert. Dort herrscht eben Disziplin!
Der Charakter eines Menschen zeigt sich bekanntlich erst, wenn er Lageraufseher geworden ist und sich seine geheimsten Träume erfüllen kann. Festsau im Swingerclub: das ist der amerikanische Traum. Andere Nationen haben andere Träume, die für die Inhaftierten kaum angenehmer sein dürften. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika gesteht jedoch jedem Amerikaner das Recht auf eine freie Entkleidung ihrer Persönlichkeit zu. Weshalb jeder Präsident eines solchen Landes gut daran tut, den Internationalen Gerichtshof nicht anzuerkennen. Denn wer möchte schon 25 Jahre hinter Gitter, bloß weil er einmal für ein paar Wochen seine Persönlichkeit voll entfalten konnte.
Dass George W. Bush, der die Selbstfindung seines Volkes mit seiner ganzen Kraft unterstützt und am liebsten alle Amerikaner zu Lageraufsehern über den Rest der Menschheit machen möchte, das, was seine Soldaten dann gefunden haben, als unamerikanisch hinstellt, sollte der Rest der Menschheit nicht als Hoffnungsschimmer betrachten. Bush ist wegen seines engen Terminkalenders einfach noch nicht so weit wie die Soldaten aus der Koalition der Willigen, die in den Gefängnissen nicht nur ganz viel Zeit totschlagen müssen. Noch blickt Bush triebgestaucht und verkniffen in die Kameras der Weltpresse, während seine Soldaten bereits locker und entspannt über nackten, zusammengeschnürten Leibern den amerikanischen Traum in vollen Zügen genießen. Doch Bush nutzt jede freie Minute, um zu einer vollwertigen Persönlichkeit heranzureifen. So soll er, wenn er sich von der Last des Regierens erholen will, in das Nebenzimmer gehen, in dem sein Vorgänger mit Zigarren und Praktikantinnen gespielt hat und vor einem orientalischen Spiegel mit der Pistole renommieren, die Saddam Hussein dabei hatte, als man ihn aus dem berühmten Erdloch zog. Und das ist nun ganz und gar nicht unamerikanisch. – Solingen den 31. Mai 2004