Nationalmannschaft billig abzugeben
Deutschland spielt wie Deissler krank: so könnte man auf Trappatonisch den depressiven Zustand des deutschen Fußballs wohl recht treffend beschreiben. Wir schießen keine Tore, haben Angst, den Ball zu bekommen oder, wenn wir ihm partout nicht ausweichen konnten, zu verlieren, und jetzt haben wir noch nicht einmal einen Trainer. Völler hat fertig und nach Ottmar Hitzfeld hat nun auch Otto Rehakles der deutschen Nationalmannschaft einen Korb gegeben. Niemand will die leicht ramponierte Mannschaft übernehmen. Misserfolg macht ebenso unattraktiv wie Erfolg sexy. Jeder Trainer, mit Ausnahme von Lothar Matthäus, der sich scheinbar nicht wie die anderen Trainer im Ausland wie im Paradies fühlt, sondern im Exil wähnt, ist heilfroh, irgendwo unter Vertrag und damit in Sicherheit zu sein. Daum, Wenger, Schaaf sie alle sind fein raus, denn sie können auf ihre Vertragstreue schwören und mit einer Träne im Knopfloch ablehnen, wenn Mayer-Vorfelder anruft. Aber Weh denen, die bald arbeitslos sind, denn die BTFK, die Bundestrainerfindungskommission, ist wie ein umtriebiger Staubsaugervertreter von morgens bis abends auf den Beinen, um die Nationalmannschaft an den Mann zu bringen.
Wir alle sollten das öffentliche Trauerspiel um den vakanten Posten des Bundestrainers als warnenden Fingerzeig nehmen, denn wenn wir nicht schwer aufpassen, können wir mit unserem ganzen Land in die gleiche Lage kommen. Man stelle sich einmal vor, Schröder würde, nachdem Deutschland in der EU erneut in der Vorrunde der Finanzmeisterschaft ausgeschieden ist, endlich hinschmeißen. Wer würde dann Kanzler werden wollen? Mit Merkel und Stoiber hat die Union zwar stets zwei Kanzlerkandidaten im Ärmel, doch ob die beiden dann im Fall der Fälle selbige hochkrempeln werden, ist mehr als fraglich. Da Stoiber noch einen laufenden Vertrag in München hat, wird Angela Merkel es wohl wie Ottmar Hitzfeld halten und ihren leeren Akku vorschieben müssen, immerhin hat sie eine von Bimbes und Diadochenkämpfen innerlich zerfressene Partei wieder ganz nach oben gebracht.
Es gibt, das müssen wir Deutschen jetzt schmerzlich erfahren, Länder, die will keiner gern regieren. Während die USA als Weltpolizist für Möchtegern-Generäle ein trefflich Spielzeug darstellen und Russland vor Bodenschätzen und Untertanen fast überläuft, hat Deutschland nur lästige Lobbyisten, erdrückende Bürokratien und jammernde Besitzstandswahrer zu bieten. Wer will so ein Land schon trainieren? Selbst wenn man als Bundeskanzler ebenso viel verdienen würde wie als Bundestrainer! Denn nimmt man als Kanzler das moderne jus primae noctis in Anspruch und Geldkoffer in Empfang, so schreit gleich alles »Korruption!«. Will man ein Gesetz verabschieden, kann man sicher sein, dass es von der Opposition im Bundesrat und den Kofferträgern in der Lobby ins Gegenteil verkehrt wird. Und selbst einen ausgewiesenen Islamisten kann man nicht einfach ausweisen, da einem die versammelte Anwalt- und Richterschaft gleich in den Arm fällt. Seien wir also froh, einen Kanzler zu haben, dem das Regieren in diesem Lande einmal Spaß gemacht hat! Wer weiß, ob wir jemals wieder einen kriegen, der mit so wenig zufrieden ist!
In Berlin tagte deshalb in der letzten Woche eine prophylaktische Kanzlerfindungskommission und hat, um für den Ernstfall eines Schröder-Rücktritts gerüstet zu sein, in seltener Geschlossenheit die Hartz-IV-Gesetze verabschiedet. Sobald diese in Kraft getreten sind, müssen Langzeitarbeitslose jeden zumutbaren Job annehmen, selbst den des Bundeskanzlers. Ein Nachfolger für Schröder wird sich also finden lassen, für die Nationalmannschaft kommt Hartz IV aber wohl zu spät. – Solingen den 11. Juli 2004