Sanierungsfall Deutschland – die Welt zu Gast bei angebrannten Freunden
Es ist Fußballweltmeisterschaft! Die deutsche Mannschaft spielt fast brasilianisch! Alle sind gut drauf. Fans aus der ganzen Welt feiern freundetrunken die Nächte durch. Die Welt ist zu Gast bei abgebrannten Freunden.
Ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie haben richtig gehört. Wir sind abgebrannt, pleite, am Ende. Deutschland ist ein Sanierungsfall. Jeder weiß das seit der Wiedervereinigung, aber nun hat es auch die Vorstandsvorsitzende der Deutschland AG, Angela Merkel, ausgesprochen. Für Insider ist der Bankrott nichts Neues. Für Kleinanleger wie Sie und mich, die wir seit Jahren durch den Kauf von Anteilsscheinen, vormals Steuern und Abgaben genannt, nicht unerhebliche Summen in das marode Unternehmen investiert haben, in der Hoffnung irgendwann einmal die Rendite einstreichen und uns als Rentiers zur Ruhe setzen zu können — für uns kam Merkels Eingeständnis wie ein Donnerschlag.
Unser Geld ist weg! Unsere Aktien sind das Papier nicht wert, auf dem unsere fälschungssicheren Personalausweise gedruckt werden. Und selbst notorische Optimisten kriegen bei einem Blick auf die drittklassige Mannschaft, die Deutschland sanieren soll, lange Gesichter. Dennoch weigere ich mich, die Aktien der Deutschland AG von ›Hold‹ auf ›Sell‹ herabzustufen. Die Vorstandsvorsitzende Merkel und der Aufsichtsratschef Müntefering haben einen Sanierungsplan.
Zuerst einmal wollen Sie Personal abbauen, um die Kosten zu reduzieren. Das ist zugegebenermaßen heutzutage extrem schwierig geworden. Früher war das viel einfacher, da konnte man noch Millionen Kostenstellen durch ein paar rasche militärische Operationen in wenigen Jahren wegrationalisieren. Was da auf dem Balkan, in Afghanistan und nun im Kongo unternommen wird, ist ein Tropfen Blut auf dem heißen Stein. Aber auch mit kleinen Schritten kommt man ans Ziel, sagt der Weise.
Die Regierung hat ein ganzes Maßnahmenbündel zum Personalabbau zusammengeklaubt, denn selbst die drastische Mehrwertsteuererhöhung genügt allein nicht. Die Bürger werden ja nicht sofort verhungern. Ergänzend kommt eine Gesundheitsreform hinzu, die sicherstellt, dass besonders kostspielige Mitarbeiter, also Alte und Kranke, zuerst aus der Deutschland AG aus- und verscheiden, da nur noch echte Leistungsträger sich eine Krankenversicherung leisten können. Die Weigerung des Deutschland-Vorstands, Dieselpartikelfilter vorzuschreiben und das Rauchen in der Öffentlichkeit zu verbieten, ist übrigens kein Zeichen von Korruption, Ignoranz oder vorzeitiger Senilität, sondern wichtiger Baustein der Sanierungsstrategie. Immerhin belaufen sich die Personaleinsparungen allein durch Feinstaub auf 65.000 Kostenstellen pro Jahr. Diese Zahl lässt sich durch die Zulassung von weiteren Dieselfahrzeugen ohne Partikelfilter noch steigern. Raucher verlassen die Deutschland AG im Durchschnitt sieben Jahre früher als Nichtraucher, von denen aber immerhin 3.300 pro Jahr durch passives Rauchen von einem vorzeitigen Ausscheiden überzeugt werden können.
Um den Personalabbau zu beschleunigen, kommen natürlich auch Abfindungen in Frage; möglichst viele Leute sollen sich nämlich mit der Tatsache abfinden, dass es besser ist, den Arbeitsgeber zu wechseln und auszuwandern: nach Skandinavien, Österreich oder Polen, das mittlerweile an zweiter Stelle der Auswanderungsstatistik steht, frei nach dem Motto: Zukunft gestohlen, morgen in Polen.
Doch Personalabbau reicht allein auch nicht aus, um Deutschland zu sanieren. Das gesamte Unternehmen muss neu aufgestellt werden. Leider sind da dem Vorstand die Hände gebunden. Es wäre viel gewonnen, wenn man die 16 maroden Niederlassungen auf acht Profit-Center reduzieren könnte. Leider blockiert der Gesellschaftervertrag von 1949 diese Lösung. Und das Führungspersonal in den Niederlassungen wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die notwendige Schließung und kündigt eigene Maßnahmen an. So hat beispielsweise die Personalchefin von NRW, Barbara Sommer, bei einer duftenden Tasse Jacobskaffee beschlossen, die Nachwuchskräfte des Unternehmens durch Kopfnoten von Anfang an zu klassifizieren. Außerdem wird die Weiterbildung nicht mehr dem Zufall, sprich den Eltern, überlassen, sondern ist nun Sache des Jugendamts. Wenn sich Eltern und Lehrer darüber streiten, in welche weiterführende Schule die Kinder gehen sollen, entscheiden künftig die fachlich exzellent ausgebildeten Beamten im Jugendamt und nicht die ungelernten Erziehungsberechtigten über die Zukunft der Nachwuchskräfte. Die Idee dazu übernahm die CDU in NRW übrigens aus der Konkursmasse der DDR.
Unternehmen, die vor dem Aus stehen, greifen auch gerne zu einer Kapitalerhöhung. Dieses Mittel hat jedoch bereits der alte Vorstand der Deutschland AG erfolglos ausgereizt. Mit der GreenCard hatte der Ex-Vorstandsvorsitzende Schröder versucht, Anleger aus aller Welt davon zu überzeugen, deutsche Steuer- und Abgabenzertifikate zu zeichnen. Dies ging jedoch bekanntlich schief.
Der neue Vorstand geht nun andere Wege und möchte Arbeitsplätze ins Ausland verlegen. Die Idee ist ganz einfach: das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben in Deutschland soll mit Hilfe von 80 Millionen mittlerweile landlosen Chinesen aus den überfluteten Gegenden des Drei-Schluchten-Staudamms zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten gestaltet werden. Ein Sozialplan sah dabei vor, dass die 80 Millionen Deutsche in einer chinesischen Auffanggesellschaft abgewickelt werden sollten. Leider sind die Verhandlungen ins Stocken geraten, da die Chinesen zu hohe Anforderungen an die Qualifizierung des deutschen Personals stellen. Personalentwicklung ist aber leider Sache der Niederlassungen und so schneiden die Deutschen beim PISA-Benchmarking viel zu schlecht ab. Deutschland ist ein schwieriger Sanierungsfall. Doch was schert das uns? Es ist Fußballweltmeisterschaft! Die Welt ist zu Gast bei abgebrannten Freunden. Lasst uns feiern, solange die deutsche Mannschaft ein Tor mehr als der Gegner schießt! Wenigstens auf dem Rasen läuft die erste Garnitur auf und zeigt Spielfreude, Teamgeist und tolle Kombinationen. Vielleicht können wir unsere vielen Gästen ja auch anpumpen? Wir holen dann auch gerne an allen holländischen Fans vorbei die nächste Runde Bier. Unsere Deutschland-Aktien können wir nach dem Endspiel immer noch abstoßen, wenn wir den Penny Stock nicht aus Sentimentalität im Portfolio behalten wollen. Oder wir verschenken unsere Anteile an unsere Gäste, damit sie uns in guter Erinnerung behalten. Will jemand meinen Personalausweis?