Josteins Welt
Man sollte es Leuten wie Jostein Gaarder nicht zu leicht machen, indem man sie als Antisemiten bezeichnet, eine Schublade, aus der sie allzu schnell wieder herausschlüpfen. Manche sind einfach nur abgrundtief dumm. In welche Kategorie Jostein Gaarder, der norwegische Bestsellerautor, gehört, will ich gar nicht entscheiden. Allerdings spricht der Text für sich, schon im ersten Absatz, in dem Gaarder Israel mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime, den afghanischen Taliban, dem Irak Saddam Husseins und dem Serbien Slobodan Milosevics auf eine Stufe stellt. Apodiktisch stellt er fest, es gäbe keine Umkehr mehr, er würde Israel nicht länger anerkennen. Der deutsche Übersetzer des Textes bemerkt zu Recht, dass sich Gaarders am Propheten Amos orientierender Sprachduktus der Sprache des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad annähert, der Israel aus dem Buch der Geschichte tilgen will. Der Text trieft vor religiösen Anspielungen und einer religiösen Sprache und verkennt damit eins der Grundübel der Menschheit nicht nur im Nahen Osten: die Religion. Leider ist die Prophetie des Textes kein bewusstes Stilmittel, um, wie der Text vorgibt, den arroganten Anspruch eines von Gott auserwählten Volkes, zu desavouieren. Es ist Gaarder wohl ernst, er tobt im heiligen Zorn eines Propheten: »Mögen Geist und Wort die Apartheid-Wände Israels hinwegfegen. Der Staat Israel existiert nicht. Er ist nun ohne Verteidigung, ohne Haut. Möge die Welt deshalb Erbarmen mit der Zivilbevölkerung haben. Denn es ist nicht die Zivilbevölkerung, der unsere Untergangsprophezeiung gilt.«
Für Gaarder scheint die jüdische Welt bloß in der Diaspora in Ordnung zu sein, denn während er mit archaischem Hass den Staat Israel verurteilt und seinen Untergang herbeiprophezeit, überlässt er die israelische Bevölkerung nach dem Untergang des Staates Israel der Barmherzigkeit der Umgebenden. »Frieden und freies Geleit für die ausziehende Zivilbevölkerung, die nicht länger von einem Staat geschützt wird.« Vermutlich überkam ihn, als er dies schrieb eine gewaltige Rührung über seine eigene Güte. Wie gut wären wir doch, könnten wir dem heimatlosen Juden ein friedliches Asyl anbieten. Und genau hier kann man Gaarder Antisemitismus vorwerfen, indem man nämlich von den Israelis etwas erwartet, was man von keinem anderen Volk erwarten würde: die freiwillige Selbstaufgabe.
Israel tut stattdessen das, was jeder andere Staat ebenfalls tun würde, es wehrt sich. Für Gaarder ist der Kampf gegen die Hisbollah eine skrupellose Kriegsführung, durch die Israel seine Legitimität verloren habe. Das ist so absurd, dass man fast sprachlos wird. Wenn für Gaarder ein Staat seine Legitimität bereits dann verliert, wenn er gegen Terroristen kämpft, dann fragt man sich als Deutscher, ob Gaarder denn auch Deutschland das Existenzrecht abspricht? Immerhin hat Deutschland von 1939 bis 1945 sich einer wirklich skrupellosen Kriegsführung schuldig gemacht. Oder Russland, dass seine Nachbarn Jahrzehnte lange unterjocht hat? Oder die USA mit ihren zahllosen Kriegen? Will er auch sie nicht mehr anerkennen? In seiner Verteidigung spricht Gaarder davon, er habe den Text an dem Tag geschrieben, als israelische Bomber Zivilisten im libanesischen Dorf Kana töteten. Will er damit sagen, dass er aufgrund der schlimmen Fernsehbilder im Affekt geschrieben hat? Affekte sind vielsagend.
Man muss schon sehr dumm oder eben ein verstockter Antisemit sein, wenn man die militärischen Operationen Israels als »skrupellose Kriegsführung mit abscheulichen Waffen« bezeichnet. Babi Jar, Katyn, My Lai, Srebrenica das waren Massaker! Der Vernichtungskrieg Hitlers, die Bombardierung Dresdens, die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki: das war skrupellose Kriegsführung! Den Libanonkrieg haben die Israelis dagegen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit beendet, um einer internationalen Schutztruppe Platz zu machen.
Gaarder hat wie viele »Humanisten« den Sinn für die Realität verloren. Sie werfen Israel eine aggressive Expansionspolitik vor. Wenn ich mir Israel und seine Geschichte anschaue, dann frag ich mich, von welcher Expansion hier überhaupt die Rede ist. Meint man die jüdischen Sieldungen? Die sind selbst in Israel nicht unumstritten. Gaarder jedoch meint das Israel von 1967, dass im Sechs-Tage-Krieg den Sinai und die Golanhöhen besetzt hat. Was er aufgrund seiner Dummheit vergisst oder als Antisemit verschweigt, ist die Tatsache, dass Israel sofort bereit war, den Sinai zu räumen, als Ägypten echten Frieden anbot, dass Israel seit Jahren mit dem ehemaligen Kriegsgegner Jordanien zwar nicht freundschaftlich, aber doch friedlich Seite an Seite zusammenlebt. Den Gazastreifen hat Israel ebenfalls geräumt. Bleiben also das Westjordanland, für das Israel eine Verhandlungslösung anstrebt, und die Golanhöhen übrig. Aber kann man, wie Gaarder, von Israel wirklich verlangen, die Golan-Höhen, von denen aus ganz Israel bequem mit Raketen beschossen werden kann, an Syrien zurückzugeben, einen Staat, der seit Jahren die Hisbollah unterstützt? Von der aggressiven Explansionspolitik Israels bleibt nicht viel übrig.
Werfen wir deshalb mal einen Blick auf die Gegner Israels. Die Palästinenser legen Bomben in israelische Busse, 1972 haben sie die israelische Olympiamannschaft überfallen und 11 israelische Sportler ermordet und sie haben Flugzeuge entführt. Wären sie den Weg Gandhis gegangen, so lebten die Palästinenser bereits seit Jahrzehnten in einem eigenen Staat, doch sie kennen scheinbar nur die Gewalt. Vielleicht hätte Gaarder einmal über den Islam schwadronieren und sich fragen sollen, warum diese Religion so gewalttätig ist. Die Hisbollah jedenfalls hat keine Skrupel. Die Gotteskrieger schonen weder die israelische Zivilbevölkerung noch die eigene. Sie verstecken sich inmitten von Zivilisten, locken damit israelische Bomben auf harmlose Wohnhäuser und präsentieren die zerstörten Häuser und die toten Zivilisten dann der ausländischen Presse. Und bei Bedarf wird nachgeholfen. Skrupel haben sie keine, fahren doch die palästinensischen Opfer ihres zynischen Kalküls sofort als Märtyrer in den Himmel auf. Gaarder nennt das Judentum eine Kriegsreligion. Was aber ist dann der Islam?
Auch Gaarder hat keine Skrupel, wenigstens keine, die israelische Zivilbevölkergung zu denunzieren. »Wir haben Bilder gesehen, auf denen kleine israelische Mädchen hasserfüllte Grüße auf jene Bomben schreiben, die auf die Zivilbevölkerung von Libanon und Palästina abgeworfen werden. Kleine israelische Mädchen sind nicht niedlich, wenn sie vor Freude strahlen über Tod und Qual hinter den Fronten.« Wir übersehen einmal, dass Gaarder hier erneut Israel unterstellt, gezielt die Zivilbevölkerung zu bombardieren, und wenden uns den ›kleinen Mädchen‹ zu. Was Gaarder hier tut, ist in seinem literarischen Zynismus dem militärischen Zynismus der Hisbollah ebenbürtig. Er fragt sich nicht eine Sekunde, ob die israelischen Mädchen nicht vielleicht aus dem Norden Israels stammen und ihre Kindheit wegen der Raketenangriffe der Hisbollah teilweise in Bunkern verbringen und deshalb verbittert den Hisbollah-Terroristen den Tod wünschen. Für ihn steht scheinbar fest, dass diese kleine Mädchen sich darüber freuen, dass andere kleine Mädchen jenseits der Grenze sterben. In welcher Welt lebt Jostein eigentlich?