Stoibers Wegbeschreibung zum Münchner Hauptbahnhof und das Warten auf die Große Reform
Edmund Stoibers Wegbeschreibung zum Münchner Hauptbahnhof ist klarer und verständlicher als die Politik der Großen Koagglution. Seine delirierende Syntax lässt im Gegensatz zu den ›Reformwerk‹ titutlierten Gesetzestexten unserer Regierung immerhin noch einen gewissen Ausdruckswillen erkennen. Stoiber ringt mit der zähen deutschen Sprache, die sich dagegen sperrt, seine transrapiden Gedanken in Worte geschweige denn ganze deutsche Hauptsätze abfließen zu lassen. Und so stauen sich in Stoibers Hirn die Weisheiten. Stammelnd vor Begeisterung will er uns scheinbar etwas über Flugzeuge mitteilen, die am Hauptbahnhof starten, der seinerseits wie ein Krebsgeschwür näher an Bayern heranwächst. Solche Visionen hätten ihn vor ein paar hundert Jahren noch zu einem Nationalheiligen und nicht zu einer nationalen Spottfigur gemacht.
Den Politikern der Großen Koagglution sind dagegen ganz offensichtlich die Drogen ausgegangen. Als wären sie auf einem kalten Entzug, sprudelt aus ihnen bloß noch ein verzerrtes, autistisches Wimmern, das, von hörigen Medien in unsere Wohnzimmer gespült, wie Neutrinos völlig wirkungslos durch uns hindurchregnet. Denn unser gesunder Menschenverstand hat nach Jahren unablässigen Trainings bei Sabine Christansen die Fähigkeit entwickelt, die akustischen Emissionen von Politikern und Lobbyisten, was oft ein und dasselbe ist, wie eine Art intellektuellen Hintergrundrauschens unterhalb der Wahrnehmungsschwelle zu halten. Denn versuchten wir, unsere Politiker zu verstehen, würden wir Ortsfremden den Weg zum Hauptbahnhof bald ebenso klar und deutlich erklären wie Stoiber.
Leider interagiert dafür unser Geldbeutel mit der politischen Hintergrundstrahlung umso heftiger. Man kann mittlerweile in 10 Minuten ohne Check-in von der Schule in den sozialen Abstieg starten. Die Schule rückt damit näher an Hartz IV heran. Man startet damit praktisch aus der Mittelschicht direkt ins Prekariat. Man steigt in den Kindergarten ein und startet am Arbeitsamt.
Hermes Trismegistos, ein Vorfahre Edmund Stoibers hat einmal gesagt, das Obere sei gleich dem Unteren. Was er damit sagen wollte, entzieht sich unserem Verständnis ebenso wie Stoibers Wegbeschreibung. Recht gehabt, hat er trotzdem. Denn damals verstand der Menschen vom Oberen ebenso wenig wie vom Unteren, der Mikrokosmos und der Makrokosmos waren selbst für Trismegistos Böhmische Dörfer. Wovon man aber nichts weiß, davon muss man umso geheimnisvoller reden.
Bei Stoiber und der Großen Koagglution ist das aber ganz anders. Stoiber weiß sehr wohl, wovon er spricht. Er wollte uns nämlich sagen, dass man mit dem Transrapid in zehn Minuten vom Hauptbahnhof München zum Flughafen Franz-Josef-Strauß fahren könnte und damit recht schnell am Flughafen wäre, wenn die Strecke denn jemals gebaut würde. Hätte er dies so gesagt, wie ich es hier geschrieben habe, würde sich heute kein Mensch mehr für Stoibers Rede interessieren. Erst die ästhetische Einkleidung ins intellektuelle Delirium verschafft der Aussage Stoibers die nötige Aufmerksamkeit. Dass man mit einem Zug, der 400 Stundenkilometer schnell ist, in zehn Minuten vom Münchner Hauptbahnhof bis zum Flughafen kommt, leuchtet jedem Depp unmittelbar ein. Das wäre also nie und nimmer ein Argument, den Transrapid auch zu bauen. Denn diese zehn Minuten wären ja die teuersten des ganzen Fluges!
Mit dem Hintergrundrauschen der Großen Koagglution dürfte es ähnlich sein. Die eigentlichen Botschaften der Merkels, der Schmidts, der Zypriessen und von der Leyens (»Ich will Kanzlerin, Gesundheitsministerin, Justizministerin, Familienministerin bleiben«), bzw. die Botschaften der Kochs, Wulffs und Rüttgers (»Ich will Kanzler werden!«) sind jedermann sofort verständlich. Immerhin sind diese Leute für ehrliche Arbeit völlig ungeeignet. Das wollen sie so natürlich nicht sagen, weil uns jeder Tag, an dem sie regieren, teuer zu stehen käme bzw. kommt. Deshalb regieren sie wie Stoiber redet. Stoibers Wegbeschreibung vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen FJS ist die rhetorische Blaupause für die Politik der Großen Koagglution. Stoiber weiß, dass der Transrapid nie gebaut wird, ebenso wie alle Politiker wissen, dass eine wirkliche Reform nie kommen wird. Das Nichts aber, das weiß jeder an Hegel geschulte Denker, erfordert die ganze Anstrengung des Begriffs. Und so ringt Stoiber mit den Worten wie Jakob mit Gott, um uns zu sagen, dass wir nicht in zehn Minuten vom Hauptbahnhof zum Flughafen kommen, weil es keinen Transrapid gibt und nie einen geben wird. Und die Große Koagglution ringt lautstark und wortreich in Vermittlungsausschüssen, Hinterzimmern und bei Sabine Christiansen mit ihren Reformwerken, um uns zu sagen, dass wir und künftige Generationen ihnen am Arsch vorbeigehen, solange sie das bleiben, was sie sind, oder das werden, was sie werden wollen. Mit der Reform ist es wie mit dem Nichts der Philosophen, dem Gott der Gläubigen, dem Kommunismus der Revolutionäre oder dem Transrapid der Verkehrspolitiker. Es gab sie ebenso wenig wie es es oder ihn jemals gab, und es wird sie ebenso wenig geben, wie es es oder ihn jemals geben wird. Bis dahin aber kann man sich über sie, es oder ihn trefflich streiten, man kann für sie Vermittlungsausschüsse, für es Bibliotheken, für ihn Kirchen, Zentralkomitees und Teststrecken errichten. Man kann Streitschriften schreiben, Kreuzzüge und heilige Kriege führen, Klassenfeinde hinrichten oder Gutachten in Auftrag geben. Niemand wird sie, es oder ihn jemals sehen. Bis dahin aber lassen es sich die Politiker der Großen Koagglution, die Sophisten, Päpste, die Volksführer und die Gutachter der Verkehrspolitiker gut gehen. Und wir zahlen dann für die Reform, das Nichts, einen Gott, den Endzustand der Gesellschaft oder eben den Transrapid im Dauertiefflug vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen, was uns nach der Reformpolitik, den Glaubenskriegen und Revolutionen sowie dem Bau des Transrapids vielleicht noch übrig bleibt. Das ist die tiefere Wahrheit des Stoiberschen Gestammels.
Uns bleibt derweil nichts anderes übrig als auf die Ankunft der Reform zu warten. Dann nämlich werden diese Politiker ebenso überflüssig wie die Sophisten, wenn das Große Nichts über uns kommt, der Papst, wenn Christus plötzlich auf dem Petersplatz aufkreuzt, das ZK, wenn alle Klassenfeinde tot sind, oder die Gutachter, wenn der Transrapid dann wirklich am Sankt Nimmerleinstag vom Münchner Hauptbahnhof in zehn Minuten zum Flughafen fährt. – Solingen 9. Januar 2007