Yes, we can! Heute wären wir alle gerne Amerikaner!
Was für eine Nacht! Was für eine Wahl! Barack Obama ist zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden! Radio, Fernsehen, Internet – es scheint nicht genügend Medien zu geben, um diese Nachricht aufzusaugen.
Um sechs Uhr morgens, nach unruhigem Schlaf, haste ich gleich nach dem Aufwachen zum Fernseher, um CNN einzuschalten und erlebe Barack Obamas Siegesrede im Grant Park in Chicago live. Eine bewegende Szenerie. Die Menschen auf dem Platz haben Tränen in den Augen. Man hat den Eindruck, in Amerika sei gerade die Berliner Mauer gefallen.
Zum Schluss seiner Rede erwähnt Obama Ann Nixon Cooper, eine 106-jährige, farbige Frau, die sich heute mit Millionen anderen Amerikanern in die langen Schlangen vor den Wahllokalen eingereiht hatte, um ihre Stimme abzugeben. Sie wurde nur eine Generation nach Abschaffung der Sklaverei geboren, als Frauen wie sie nicht wählen durften, weil sie Frauen und schwarz waren. Und er lässt ihr Leben Revue passieren: die große Depression, den Zweiten Weltkrieg, Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung, die Mondlandung, den Fall der Berliner Mauer. Und die Menschen auf dem Platz fallen immer wieder ein in dieses magische »Yes we can! Was für ein Land, das sich so triumphierend am eigenen Schopf aus dem tiefen Sumpf aus Lügen und Verbrechen herausziehen kann! Yes we can!
Acht lange Jahre hatte sich Amerika von der Welt abgewendet, nun hat es einen Mann zum Präsidenten gewählt, in den die ganze Welt mehr Hoffnung setzt als in jeden anderen Präsidenten zuvor, mit Ausnahme vielleicht von John F. Kennedy. Acht Jahre lang hat Amerika all seine Ideale verraten: Demokratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit, Freiheit. Nun hat es gezeigt, dass es diese Ideale noch gibt, dass sie selbst in Obamas Gegner, John McCain, noch nicht erloschen sind. Was für ein Mann! Zuletzt wirkte er wie eine Marionette, die sobald sie die Bühne betrat, beide Daumen mechanisch in die Höhe reckte und ins Publikum grinste. Ein wenig linkisch vielleicht, aber alles andere als unsympathisch. Ein republikanischer Kandidat, der um Längen besser ist als seine Wähler, der den Hass und Fanatismus seiner oft rassistischen Anhänger immer wieder bremsen musste. Ein souveräner Verlierer, der noch in der Wahlnacht seinem Gegner auf eine Weise Respekt zollte, die nicht aufgesetzt wirkte, der sich einreihte in die Menge derjenigen, die rufen: Yes, we can! Was wäre passiert, wenn wieder ein kl** A** wie George W. Bush für die Republikaner ins Rennen gegangen wäre
Der Wechsel ist da und er betrifft die ganze Welt. »Change the world« steht auf den T-Shirts, die Obamas Anhänger tragen. Acht Jahre hat Amerika die Welt tyrannisiert, die Würde des Menschen mit Füßen getreten, Unschuldige ermordet und die Zukunft des Planeten verdunkelt – nun muss Barack Obama zeigen, dass Amerika anders ist, dass es immer noch der Hort der Freiheit und der Hoffnung ist, dass es gemeinsam mit uns, die Probleme lösen kann, vor denen die Menschheit steht. Nun muss sich zeigen, ob die Amerikaner nicht nur den Wunsch, sondern auch die Kraft zum Wechsel haben, den die ganze Menschheit ersehnt, und ob sie bei der Rettung der Welt endlich die Führung übernehmen.
Barack Obama spricht immer vom Wir. Und das ist mehr als eine rhetorische Floskel, die ihn seine Berater haben einstudieren lassen. Denn auf das Wir wird es angekommen. Der neue Präsident wird eine ganze Nation motivieren müssen, den Wechsel zu verwirklichen. Und das wird Opfer kosten. Barack Obama ist nicht der Messias, der auf die Bühne steigt und alle Probleme aus der Welt schafft.
Als der zukünftige Präsident seine Dankesrede beendet hatte, musste ich an die Rede von John F. Kennedy bei seiner Amtseinführung denken, in der er den viel zitierten Satz sagte: »Frage nicht was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!« Wenn man die übermäßige Hoffnung in den Augen seiner Anhänger sieht und einen Widerschein davon im eigenen Herzen spürt, so muss man heute diese Worte wohl so formulieren: »Frage nicht, was Barack Obama für die Welt tun kann, sondern was du mit ihm und uns allen gemeinsam für die Welt tun kannst!«
Yes, we can! Heute wären wir alle gerne Amerikaner!