Bedingungsloses Grundeinkommen
Die epetition 1422, mit der der Bundestag gebeten wurde, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, erhielt bis zum 17. Februar 2009 über 50.000 Unterschriften. Ein Erfolg der Web-Community, die für diese Petition mächtig Werbung gemacht hat.
In dem Text der Petition wird ein bedingungsloses Grundeinkommen für Erwachsene von rund 1.500 € und für Kinder von rund 1.000 € gefordert. Eine vierköpfige Familie käme so auf ein arbeitsfrei erzieltes Einkommen von 5000 €, was – die heutigen Lebenshaltungskosten vorausgesetzt – ein angenehmes und finanziell sorgenfreies Leben ermöglichen würde. In der Summe addierten sich die Transferleistungen auf einen Betrag von über 120 Mrd. € monatlich, was einer Jahrestransferleistung von 1,44 Billionen € entspräche. Diese Summe erscheint selbst ins Zeiten der überall aufgespannten Rettungsschirme gigantisch. Das Statistische Bundesamt hat jedoch für 2008 ein Bruttoinlandsprodukt von über 2,4 Billionen € errechnet, sodass die Summe immerhin im Bereich des Möglichen bleibt. Es bliebe noch rund eine Billionen € übrig, um sie anderweitig, als Investition oder für den sonstigen Konsum, zu verwenden. Die Rechnung ist jedoch ungenau. Ich habe nämlich, ohne zwischen Kindern und Erwachsenen zu unterscheiden, das Pro-Kopf-Einkommen von 1.500 € mit den in Deutschland lebenden 80 Millionen Bundesbürgern multipliziert. Das ist zwar weniger fahrlässig als die Taschenspielertricks unserer Banken, aber trotz allem nicht genau. Mit einfachen Rechnungen kommt man hier sowieso nicht weit, denn um die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft abzuschätzen, müsste man eine ganze Reihe weiterer Faktoren einbeziehen. Die verschiedenen Berechnungsmodelle, die in Umlauf sind, sind alle sehr verwirrend. Sie müssen einerseits darlegen, wie viel Geld bei den unterschiedlichen Ansätzen transferiert wird. Andererseits sollen sie abschätzen, wie viel Geld der Staat einsparen könnte, wenn er zum Beispiel keine Beamten mehr benötigte, um die Bedürftigkeit von Hartz-IV-Empfängern oder persönliche Steuererklärungen zu prüfen. (In der Petition wird die Ersetzung aller Steuern durch eine hohe Konsumsteuer gefordert.) Generell ist die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens aber weitgehend geklärt. Die Diskussion geht daher auch im Kern nicht um die Stimmigkeit von Berechnungsmodellen.
Die wirklich interessante Frage lautet: Wie würde sich unsere Gesellschaft durch das Grundeinkommen verändern? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Filmessay »Kulturimpuls Grundeinkommen« von Daniel Häni und Enno Schmidt. In dem Film gehen die Autoren auch auf zahlreiche Einwendungen ein, die gemeinhin gegen das Grundeinkommen in Stellung gebracht werden.
Die Konsumsteuer
Ein großes Missverständnis in der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen ist die Vorstellung, dass man eine hohe Konsumsteuer bräuchte, um sie zu finanzieren. Das ist Unsinn. Es ist bloß so, dass einige Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens die Abschaffung aller Steuern mit Ausnahme der Konsumsteuer fordern. Man kann also die Frage des Grundeinkommens von dieser Frage abkoppeln. Wir wollen das einmal tun und fragen, was passieren würde, wenn man die Mehrwertsteuer anheben und dafür alle anderen Steuerarten, vor allem die Einkommensteuer abschaffen würde.
Die Autoren des Films zeigen die Auswirkungen an einem Glas Latte macchiato, dessen Preis sich aus unterschiedlichen Posten zusammensetzt. Der größte Posten umfasst die Arbeitskosten, vor allem die direkten Arbeitskosten der Bedienung. In diesen Arbeitskosten stecken aber auch Steuern, nämlich die Einkommensteuer der Belegschaft. In den Materialkosten und den anderen Fixkosten sind ebenfalls Kosten für die Einkommenssteuer versteckt. Alle gekauften oder gemieteten Waren wurden von Menschen hergestellt oder transportiert, die dafür ein Einkommen bezogen haben, das sie versteuern müssen – diese Kosten wurden selbstverständlich in die Preise der Vorprodukte einkalkuliert. Zählt man alles zusammen, so wächst der Kostenposten im Preis, der sich aus Einkommenssteuern zusammensetzt, beträchtlich an. Würde man die Einkommenssteuer streichen und stattdessen die Summe dieser Posten als Mehrwertsteuer erheben, so würde sich der Gesamtpreis des Latte macchiato nicht verändern. Der Anteil der Arbeitskosten in der Kalkulation würde jedoch beträchtlich sinken. Arbeit würde billiger. Was das für den Arbeitsmarkt bedeutet, kann sich sicher jeder vorstellen. Überdies wären wir mit einem Schlage das Problem der Schwarzarbeit los, das nur deshalb entsteht, weil wir diejenigen mit Steuern belasten, die eine Leistung erbringen. Das Problem des Mehrwertsteuerbetrugs will ich nicht marginalisieren, ich halte es aber für ein wesentlich kleineres Übel.
Die Gegner einer hohen Konsumsteuer wenden nun ein, dass aufgrund der hohen Mehrwertsteuer alle im Ausland einkaufen würden. Ein Problem, das wir beim Benzintanken an den deutschen Grenzen ja häufig beobachten können. Man würde im Ausland einkaufen, weil es dort billiger ist. Das Beispiel des Latte macchiato zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall sein wird, weil im Ausland der Preis des Latte macciato genauso hoch wäre, wie im Inland. Er wird sich nur anders zusammensetzen.
Eine hohe Konsumsteuer hätte jedoch eine sehr positive Auswirkung. Sie würde unseren Export stärken, da sie beim Exportieren von Waren nicht auf den Preis aufgeschlagen wird. Sie ist ja eine im Inland beim Konsum erhobene Steuer. Unsere Erzeugnisse würden im Ausland also billiger werden. Was das für eine Exportnation wie Deutschland bedeuten würde, kann sich jeder selbst ausmalen. Wir würden das Ausland mit preiswerten Waren überschwemmen. Gleichzeitig würde der Import von Waren teurer, weil die Waren im Ausland ja weiterhin mit hohen steuerbelasteten Arbeitskosten erzeugt werden, auf die anschließend noch die Konsumsteuer aufgeschlagen wird. Importe würden also teurer. Wir hätten aber als Exportnation einen gewaltigen Vorteil. Die anderen Länder kämen dadurch vermutlich so in Bedrängnis, dass sie innerhalb kürzester Zeit ebenfalls alle Arbeitssteuern abschaffen und eine Konsumsteuer in etwa gleicher Höhe einführen würden. Dann wäre unser Vorteil natürlich fort, aber der Systemwechsel wäre innerhalb kurzer Zeit in vielen Ländern erfolgt.
Ein weiteres Argument der Gegner besagt, dass die Mehrwertsteuer sozial ungerecht sei, weil alle in gleicher Weise davon betroffen wären. Die hohe Konsumsteuer würde vor allem die Geringverdiener belasten. Wenn wir einmal davon absehen, dass es wohl nirgends auf der Welt ein sozial ungerechteres Steuersystem als das unsere gibt, ein System, in dem die Reichen hohe Abschreibungsmöglichkeiten haben und die Lohnabhängigen sehen müssen, wie sie ein paar Pfennige am Ende des Jahres vom Finanzamt zurückkriegen – wenn wir also davon absehen, dass jedes andere Steuersystem gerechter wäre, als das unsere, ist das Argument, die Konsumsteuer sei ungerecht, schierer Blödsinn. Denn da die Konsumsteuer auf den Nettopreis aufgeschlagen wird, gibt es ein direktes Verhältnis zwischen dem Konsum auf der einen Seite und dem Steueraufkommen, das man zu leisten hat, auf der anderen Seite. Wer viel konsumiert, zahlt mehr.
Da gönne ich jedem Reichen seine Yacht. Denn er hat sie sich auf ehrliche oder unehrliche Weise redlich verdient. Und wenn die Yacht netto eine Millionen kostet, und die Konsumsteuer 100 % beträgt, so weiß ich, dass der reiche Skipper beim Kauf seiner Yacht eine Millionen Euro Steuern bezahlt, die zur Deckung unserer öffentlichen Aufgaben dringend benötigt werden. In unserem aktuellen Steuersystem dagegen setzt der Millionär seine Yacht vermutlich sogar noch von der Steuer ab und dreht dem Staat eine lange Nase.
Was aber ist mit der Progression? Angeblich sorgt die Steuerprogression für soziale Gerechtigkeit, da der Steuersatz mit steigendem Einkommen ebenfalls ansteige und Gutverdiener daher überproportional mehr Steuern zahlten als Geringverdiener. Sehen wir wieder einmal davon ab, dass die Steuerprogression in Deutschland nicht die Reichen besonders hoch belastet, sondern diejenigen, die ein mittleres Einkommen beziehen, so ist das immerhin ein handfestes Argument. Egal ob man 2000, 5000 oder 10.000 Euro im Monat ausgibt, jeder hätte durch die 100-prozentige Konsumsteuer die Hälfte seines Einkommens an den Staat weitergereicht.
Grundeinkommen und Steuerprogression
Genau hier setzt aber das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein. Es wirkt sich wie ein Steuerfreibetrag aus, denn jeder Bürger bekommt das Grundeinkommen quasi vorab von der Steuer zurück. Wenn wir eine Staatsquote von 50 % annehmen und die Konsumsteuer damit bei 100 % läge, sähe die Lage tabellarisch so aus:
BGE | Verdienst | Einkommen | Steuer | Steuersaldo | Steuersatz |
---|---|---|---|---|---|
1500 | 0 | 1500 | 750 | -750 | -50,00 % |
1500 | 500 | 2000 | 1000 | -500 | -25,00 % |
1500 | 1000 | 2500 | 1250 | -250 | -10,00 % |
1500 | 1500 | 3000 | 1500 | 0 | 0,00 % |
1500 | 2000 | 3500 | 1750 | 250 | 7,14 % |
1500 | 4000 | 5500 | 2750 | 1250 | 22,73 % |
1500 | 6000 | 7500 | 3750 | 2250 | 30,00 % |
1500 | 10000 | 11500 | 5750 | 4250 | 36,90 % |
Wer nichts hinzuverdient, trägt eine negative Steuerlast von 50 %, wer 1500 Euro zusätzliches Arbeitseinkommen erzielt, zahlt in der Summe immer noch keine Steuern. Erst wer mehr verdient, hat eine reale Steuerlast zu tragen, die sich prozentual der rechnerischen Steuerlast von 50 %, die durch die Staatsquote vorgegeben ist, annähert. Man sieht, dass es eine Progression gibt, dass sie eine gewisse Steilheit hat und dass – wie heute – Personen mit einem sehr hohen Verdienst immer noch sehr viel Geld zurückbehalten. Leistung lohnt sich also weiterhin!
Und im Alter?
Natürlich kann ein Mensch mit geringem Zusatzverdienst kein Geld fürs Alter zurücklegen, denn er wird das Grundeinkommen vermutlich für den Lebensunterhalt aufbrauchen müssen. Dies hat jedoch keine existenziellen Folgen für den Einzelnen, da auch Rentner das Grundeinkommen erhalten. Warum gibt es dennoch so viele Gegner des Grundeinkommens?
Neid und Missgunst sind schlechte Ratgeber
Neid und Missgunst sind ganz offensichtlich eine starke psychologische Blockade für das Grundeinkommen. In dem Film geben nur 10 % der Befragten an, nach Einführung des Grundeinkommens den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. 90 % wollen entweder im gleichen Beruf wie bisher oder in einem anderen Beruf weiterarbeiten. Keine Spur also von kollektiver Hängematte! Allerdings trauen dieselben Befragten ihren Mitbürgern ganz und gar nicht über den Weg. Sie haben den Verdacht, dass 80 % ihrer Mitbürger die Hände in den Schoß legen würden. Dahinter steckt natürlich keine rationale Überlegung, sondern lediglich Neid und Missgunst. Man gönnt niemandem ein arbeitsfreies Einkommen. Das ist uns jahrzehntelang eingetrichtert worden. Wer ohne zu arbeiten, Geld vom Staat bekommt, ist ein Schmarotzer. Und sind wir nicht alle nur von Schmarotzern umgeben? Hat außer mir überhaupt jemand ein bedingungsloses Grundeinkommen verdient?
Gäbe es den Neid und die Missgunst der Menschen nicht, wären die Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens nur allzu offensichtlich. Es ist eine wesentlich effizientere Art und Weise, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen, für den wir momentan sehr viel Geld und Ressourcen verschwenden, um ihn ›gerecht‹ zu bewerkstelligen. Bloß weil wir den Armen die Sozialhilfe und den Reichen ihre Yacht nicht gönnen, leisten wir uns große Bürokratien, um Hartz-IV-Empfänger und Yachtbesitzer gleichermaßen zu gängeln. Neid und Missgunst sind aber schlechte Ratgeber. Wenn wir jedem Menschen, weil er ein Mensch ist, ein Grundeinkommen und dem hochbezahlten Angestellten und dem erfolgreichen Selbstständigen ihr hohes zusätzliches Einkommen gönnen würden, könnten wir das Geld für die Überwachung einsparen und es stattdessen zum Beispiel für Bildung ausgeben.
Fazit
Gäbe es ein Grundeinkommen, wären die Menschen frei, die Arbeit anzunehmen, die sie tun wollen. Sie müssten nicht mehr nur für ein Mindesteinkommen arbeiten, sondern könnten sich frei entscheiden, ob sie die angebotene Arbeit zu den angebotenen Bedingungen erledigen wollen oder nicht. Betriebsräte und Gewerkschaften wären vermutlich überflüssig, weil alle Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern grundsätzlich in einer besseren Verhandlungsposition wären, wenn ihre Existenz nicht mehr von der Arbeitsstelle abhinge. Sie könnten mehr Geld fordern oder bessere Arbeitsbedingungen. Der Trend zur Automation ist ohnehin nicht aufzuhalten, sodass stereotype Arbeitsabläufe sowieso von Maschinen erledigt werden.
Die individuellen und die sozialen Unterschiede zwischen den Menschen würden natürlich nicht verschwinden. Qualifizierte Arbeitskräfte werden immer besser bezahlt werden als unqualifizierte. Der finanzielle Anreiz zur Leistung und zur Ausbildung bliebe bestehen. Aber wir hätten alle viel mehr Handlungsalternativen.
Eine hohe Konsumsteuer ließe die anteiligen Arbeitskosten an den Produkten sinken. Der Vorteil, der einem Unternehmen durch eine zusätzlich eingestellte Kraft entsteht, wöge sehr viel schneller als heute den Nachteil der zusätzlichen Personalkosten auf. Es würden also mehr Arbeitsplätze entstehen!
Der Mensch ist zur Tätigkeit geboren. Er ist neugierig und will alles erforschen. Er ist hilfsbereit. Er setzt sich Ziele und ist zufrieden, wenn er sie erreicht hat. Die Open-Source-Bewegung hat Milliarden Arbeitsstunden in exzellente Software investiert, für die nie ein Pfennig gezahlt wurde. In den Haushalten leisten Menschen Milliarden Arbeitsstunden bei der Erziehung von Kindern oder der Pflege von Alten und Kranken, ohne dafür jemals in Mark und Pfennig bezahlt zu werden. Es gibt mehr Antriebe zur Arbeit als das erbärmliche Einkommen, mit dem viele Menschen heutzutage auskommen müssen. Deshalb wird die Wirtschaft nicht zusammenbrechen, wenn wir das Grundeinkommen einführen. Sie wird sich verändern, und zwar zum Guten!
Niemand wäre mehr den erniedrigenden Prozeduren von Hartz-IV ausgeliefert. Niemand müsste sich dafür schämen, dass er Geld vom Staat bezieht. Niemand müsste aus schierer Existenzangst für Hungerlöhne schuften. Niemand müsste sich aus Furcht vor einer Entlassung krank arbeiten.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist in jeder Hinsicht wünschenswert. Aufgrund unserer vollkommen desolaten politischen Lage ist es jedoch utopisch zu glauben, dass ein solcher Vorschlag den üblichen Weg durch die politischen Gremien nehmen könnte. Die Petition wird daher im Bundestag keine Mehrheit finden. Unser Land ist strukturell reformunfähig. Nur eine machtvolle soziale Bewegung von unten könnte dies erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass die sozialen Communities im Internet, die der Petition einen ersten Achtungserfolg beschert haben, stark genug sind, um eine breite soziale Mehrheit für das Grundeinkommen zu organisieren.