Seniorensedativ Jauch bei der ARD
Günter Jauch wird die neue Anne Will, die einmal die neue Sabine Christiansen war, die ihrerseits das politische Volkssedativ Polit-Talkshow – wenn auch nicht erfunden – so doch perfektioniert hat.
Günter Jauch bekommt für die neue Sonntagsabend-Polit-Talkshow pro Sendeminute 4.487 EUR Gehalt, 1.323 EUR mehr als Anne Will, womit erneut bewiesen ist, dass Frauen auch für den größten Mist immer noch deutlich schlechter bezahlt werden als Männer.
Bei diesem großzügigen Gehalt, das eines Vorstandsvorsitzenden einer systemrelevanten Pleitebank würdig ist, fragt man sich nicht nur, ob Jauch beim Talken überziehen darf, sondern auch, ob das Geld, das schließlich von uns allen erpresst wurde, sinnvoll angelegt ist. Und das ist – Neid hin, Geschmack her – eindeutig zu bejahen.
Das Fernsehen spielt bei der Pflege von Demenzkranken sowie der Autosedation von Senioren eine immer größere Rolle, wie eine Studie der Universität von Kalifornien jüngst ermittelt hat. Menschen über 55 verbringen nämlich dreimal mehr Zeit vor dem Fernseher als 13-jährige. Wer vor diesem Hintergrund die sedierende Wirkung von Polit-Talkshows einmal kennen gelernt hat, die nur noch vom WDR4-Radioprogramm annähernd erreicht wird, der mag ermessen, welche Erleichterung es für die Pflegekräfte in Seniorenheimen ist, wenn man die Alten zunächst durch den Komödienstadel ruhigstellen und dann durch eine Polit-Talkshow pünktlich zur Nachtruhe ohne pharmakologische Risiken einschläfern kann.
Vor diesem Hintergrund ist es völlig einsichtig, warum Günter Jauch 40% mehr als Anne Will bekommt. Seit Jahren ist es wissenschaftlich erwiesen, dass schrille weibliche Stimmen alles andere als beruhigend wirken. Außerdem überwiegt der Anteil von Frauen unter den Senioren. Daher ist das Gehalt von Jauch auch keine Frage für die Gleichberechtigungsbeauftragten der Länder. Anne Will hat vermutlich die männlichen Senioren vor dem Schlafengehen bloß kirre und die weiblichen aufsässig und nervös gemacht. Bei Günter Jauch wird es zu diesen Nebenwirkungen nicht kommen. Eine Stunde Jauch-Talk spart so in Alten- und Pflegeheimen während und nach der Sendung ungezählte Pflegestunden.
Legt man die Jauch-Minute von 4.487 EUR nun auf alle Pflegekräfte in Deutschland um, erkennt selbst der größte Kritiker, dass Günter Jauch und seine künftige Polit-Talkshow die Pflegeversicherung um Milliarden entlasten wird. Eine Dividende, die aufgrund der demografischen Entwicklung von Jahr zu Jahr steigen wird – bis Günter Jauch selbst im Pflegeheim vor dem Fernseher sitzen muss. Vielleicht werden sich intellektuell besonders anfällige Senioren nach den ersten Sendungen sogar lieber selbst entleiben, bevor sie dazu fremde Hilfe benötigen, und so den Sozialkassen weitere Kosten ersparen.
Der weitere volkswirtschaftliche Nutzen des telegenen Sedativums kann überdies gar nicht überschätzt werden. So werden zum Beispiel auch die Gastwirte von der neuen Talkshow profitieren wie zuletzt nur bei der Euroeinführung, als sie auf ihren Speisekarten zur Umrechnung lediglich das Währungssymbol ausgetauscht haben. Denn wer bleibt schon freiwillig zu Hause, wenn im Fernsehen Günter Jauch mit den Berufstalkern aus Wirtschaft, Politik und Showbiz seine narkotisierende Wirkung über jedes nur denkbare politische Thema ausbreitet? Die Gaststätten, die aufgrund des Rauchverbots verwaist waren, werden künftig zumindest am Sonntagabend wieder so überfüllt sein wie damals, als es nur in Kneipen Fernsehen gab. Die Gastwirte werden also das ganze Jahr über am Tag des Herrn den Bierpreis vom Oktoberfest verlangen können.
Eingefädelt wurde der Wechsel von Günter Jauch zur ARD jedoch nicht von der Pflegeversicherung oder von Gastwirten, sondern von den Politikern. Talkshows haben in den letzten 15 Jahren das Niveau der politischen Diskussion so erfolgreich nach unten gedrückt, dass dagegen selbst die Absonderungen der politischen Geschäftsführer wie genialische Bonmots wirken. Diese Wirkung verfliegt jedoch allmählich. Selbst Talkshows können das Niveau eines Politikers nicht mehr nachhaltig unterbieten. In der Folge flackert kognitive Unruhe, in Deutschland fast ausgestorben, hier und dort wieder auf. Es besteht zwar nicht die Gefahr, dass diese Krankheit in unserem Lande jemals endemisch wird, aber man muss den Anfängen wehren. Denn unbehandelt kann kognitive Unruhe zu politischer Renitenz führen. Mit seiner Show »Wer wird Millionär« hat Jauch bewiesen, dass er ein Millionenpublikum vor den Gefahren zerebraler Selbsttätigkeit bewahren kann. Die Hoffnungen, die man in ihn setzt, sind also nicht unbegründet.
Und das Gehalt von 4.487 EUR pro Minute ist daher auch mehr als gerechtfertigt. Wer mich vom Gegenteil überzeugen will, soll mir eine humanere Methode der politischen Sterbehilfe nennen.